Kein Mitleid mit hungerndem Kind

Videokampgane der neuseeländischen Polizei sorgt für Debatte über Solidarität

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 3 Min.
Neuseelands Polizei ließ sich für ein Rekrutierungsvideo ein soziales Experiment einfallen. Sie engagierte einen Kinderschauspieler, der im Müll nach Essen suchte. Hunderte gingen an dem Jungen vorüber.

In gewisser Weise hält das Video Neuseeland einen sozialen Spiegel vor. Doch Hand aufs Herz: Würde solch ein soziales Experiment, mit dem Neuseelands Polizei nach Nachwuchs sucht, in Europa so anders aussehen?

Die Szene spielte sich folgendermaßen ab: Ein etwa zehnjähriger Junge, der abgerissen, dünn und schmutzig aussieht, wühlt mitten in Auckland, der größten Stadt Neuseelands, in einer Mülltonne. Er ist auf der Suche nach Essbarem. Immer wieder wird er fündig und steckt etwas in den Mund. Über eine halbe Stunde lang durchsucht er Mülltonnen. In der Zeit gehen Hunderte Menschen an ihm vorbei, einige werfen direkt vor ihm sogar Müll in die Tonne, in der er nach Essen sucht. Nur wenige werfen ihm überhaupt einen Blick zu. Ein Mann fotografiert ihn sogar.

Die Szene ist ein Experiment, der Junge ein Schauspieler, das Essen im Müll extra für ihn platziert worden. Die Polizei will mit dem Video des Experiments, das inzwischen fast eine halbe Million Menschen im Internet angeschaut haben, nach Nachwuchs suchen. Die Botschaft der Polizei ist: »Hätten Sie sich gekümmert? Dann haben Sie das Zeug zum Polizisten.«

»Einige Menschen sind die Leute angegangen, die sich nicht kümmerten«, schrieb die neuseeländische Polizei auf Facebook. »Uns geht es nicht darum.« Absicht dieser sozialen Experimente sei es, die Aufmerksamkeit der Menschen auf diejenigen zu lenken, die bemerkt hätten, dass jemand Hilfe brauchte und die das Mitgefühl gehabt hätten, einzuschreiten.

Ein zweites Video, das die Polizei wenige Tage später ebenfalls auf sozialen Medien hochlädt, zeigt deswegen auch nur die Menschen, die sich gekümmert haben. Außerdem veröffentlicht die Polizei die Statistik zum Experiment: In den 35 Minuten, die die Beamten filmten, gingen etwa 500 Menschen an dem Jungen vorbei, ohne ihn zu beachten. Doch immerhin blieben auch drei Gruppen mit insgesamt sieben Leuten und drei Einzelpersonen stehen und boten ihre Hilfe an. Darunter waren drei junge Mädchen, die den Jungen fragten, ob er Eltern habe und ob sie ihm etwas zu essen kaufen oder Geld geben sollten.

Neuseelands Polizei hofft, mit der Kampagne Menschen aufzurütteln, die sich kümmern würden. »Wir haben eine Serie an situativen, sozialen Experimenten gedreht, mit denen sich unsere Beamten täglich auseinandersetzen müssen«, sagte Polizeisprecherin Karen Jones. Es ginge darum, sehen zu können, wie viele Menschen stehenbleiben und helfen würden. »Wenn einer sagt, er wäre auch stehengeblieben, dann könnte er genau die Art von Mensch sein, nach der die Polizei in Neuseeland sucht«, sagte sie. Mit der Kampagne sollen 400 Nachwuchspolizisten angeworben werden.

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