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Weltrettung mit Profitaussicht

Laut einem neuen UN-Bericht könnten Klima- und Natur­schutz auch das Wirtschafts­wachstum sicherstellen

  • Joachim Wille
  • Lesedauer: 5 Min.
Diesen Kormoran kann der Naturschutz qua Wirtschaftswachstum nicht retten.
Diesen Kormoran kann der Naturschutz qua Wirtschaftswachstum nicht retten.

Ein grundlegender Kurswechsel in der globalen Wirtschafts- und Umweltpolitik könnte nicht nur Ökosysteme retten, sondern auch den weltweiten Wohlstand deutlich steigern. Das ist die Hauptbotschaft des neuen »Global Environment Outlook«, Geo‑7, den das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, Unep, am Dienstag in Nairobi vorgestellt hat.

Die Untersuchung gilt als umfassendste wissenschaftliche Bestandsaufnahme des ökologischen Zustands unseres Planeten. 287 wissenschaftliche Fachleute aus 82 Ländern arbeiteten daran mit. Der Tenor des Reports ist überraschend optimistisch: Entschlossener Schutz von Klima und Natur würde nicht nur Millionen Menschenleben retten, sondern auch jährlich Tausende Milliarden zusätzlich erwirtschaften. Bis zum Jahr 2070 könnte laut dem Bericht die globale Wirtschaftsleistung mindestens 20 Billionen US-Dollar pro Jahr höher liegen als bei business as usual.

Der Geo‑Bericht erscheint seit 1997 in regelmäßigen Abständen von etwa fünf Jahren. Frühere Ausgaben warnten vor allem vor steigender Zerstörung der Umwelt in praktisch allen Weltregionen, doch der siebte Report betont daneben ausdrücklich auch die ökonomischen Chancen eines nachhaltigen Umbaus.

Positive Szenarien

Geo‑7 versucht, politischen Entscheidungsträgern ein positives Szenario aufzuzeigen. Eine Welt mit klimafreundlicher, sauberer Energie, stabilen Ökosystemen und gerechter Ressourcennutzung würde nicht einen niedrigeren Lebensstandard bedeuten, sondern im Gegenteil ein widerstandsfähigeres Wirtschaftssystem schaffen.

Der Report präsentiert zwei unterschiedliche Transformationspfade: Der erste stützt sich hauptsächlich auf technologische Entwicklung und Effizienzsteigerungen etwa in der Energienutzung und beim Ressourcenverbrauch. Der andere bezieht auch stärkere Verhaltensänderungen der Menschen mit weniger Fokus auf materiellen Konsum mit ein. Unep erwartet, dass globale makroökonomische Vorteile dieser Transformation ab etwa 2050 sichtbar werden, bis 2070 auf 20 Billionen US-Dollar jährlich ansteigen und danach bis auf 100 Billionen US-Dollar pro Jahr zunehmen könnten. Bis 2050 könnten so fast 200 Millionen Menschen aus Mangelernährung und über 100 Millionen aus extremer Armut befreit werden.

Damit einher gingen geringere Risiken durch den Klimawandel, ein verminderter Verlust der biologischen Vielfalt bereits bis 2030 und die Zunahme renaturierter Flächen. Neun Millionen vorzeitige Todesfälle könnten bis 2050 vermieden werden – zum Beispiel durch weniger Luftverschmutzung, vor allem in Entwicklungsländern.

Wohlstand jenseits des BIP

Die Kosten dafür sind durchaus hoch, wie man bei Unep einräumt. Um 2050 netto null Treibhausgasemissionen zu erreichen – was die Pariser Klimaziele in Reichweite hielte – sowie den Schutz und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt ausreichend zu finanzieren, wären bis dahin jährlich Investitionen von rund 8 Billionen US-Dollar nötig, also 8000 Milliarden. Allerdings, so betonen die Geo‑7-Fachleute: Die Kosten des Nichthandelns wären deutlich höher.

Unep hebt die Bedeutung einer alternativen Messung von Wohlstand hervor. Entscheidend für den Erfolg des neuen Wirtschaftens sei es, von der ausschließlichen Orientierung am Bruttoinlandsprodukt (BIP) wegzukommen und Indikatoren einzuführen, die auch menschliches und natürliches »Kapital« erfassen. Damit könnten die Volkswirtschaften zu Kreislaufwirtschaft, Dekarbonisierung, nachhaltiger Landwirtschaft und Ökosystem-Wiederherstellung animiert werden.

Der Bericht nennt fünf zentrale Bereiche, in denen tiefgreifende Veränderungen erforderlich sind: Im Bereich Wirtschaft und Finanzen brauche es neue Wohlstandsmessung, Abbau umweltschädlicher Subventionen, Steuern und Anreize. Für den Energiesektor spielten rasche Dekarbonisierung, höhere Effizienz und gerechter Zugang zu sauberer Energie eine Rolle. Die Ernährungssysteme bräuchten nachhaltige Landwirtschaft, weniger Verschwendung sowie Klimaanpassung. Im Bereich von Rohstoffen und Abfall seien Kreislaufwirtschaft, Reparatur und transparente Lieferketten die Vision. Und im Kontext von Umwelt und Natur müssten Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen wichtig werden, ebenso wie Klimaanpassung und Resilienz durch naturbasierte Lösungen und die Umsetzung von Klimaschutzstrategien.

Deutlich wird in dem Report allerdings auch, welche Schäden und Kosten ein Festhalten am »Weiter wie bisher« verursachen würde. Allein die weltweiten Gesundheitskosten durch verschmutzte Luft liegen danach bei jährlich rund 8 Billionen US-Dollar (2019). Hinzu kommen materielle Verluste durch Extremwetterereignisse, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten auf durchschnittlich 143 Milliarden Dollar pro Jahr beliefen.

»Eine einfache Wahl«

Das UN-Programm warnt vor einer dramatischen Zuspitzung der Lage, falls nicht umgesteuert wird. Ohne Gegenmaßnahmen werde die globale mittlere Temperatur bereits in den frühen 2030er Jahren die 1,5-Grad-Grenze dauerhaft überschreiten, in den 2040ern 2 Grad übersteigen und dann weiter ansteigen. Dadurch drohe der Klimawandel bis 2050 bereits rund 4 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung zu vernichten, zum Ende des Jahrhunderts könnten es 20 Prozent sein.

Die Bodendegradation werde dann voraussichtlich im bisherigen Tempo fortschreiten. Bereits heute seien 3 Milliarden Menschen von den Folgen degradierter Böden betroffen, was ihre Ernährungssicherheit gefährde. Jedes Jahr gehe fruchtbares, produktives Land von der dreifachen Fläche Deutschlands verloren. Zudem würden die rund 8 Milliarden Tonnen Plastikabfälle, die den Planeten verschmutzen, weiter anwachsen – und damit die Gesundheitsschäden durch giftige Chemikalien in Kunststoffen, deren Folgen auf jährlich auf 1,5 Billionen US-Dollar geschätzt werden.

Unep-Direktorin Inger Andersen sagte zur Vorstellung des Reports, Geo‑7 lege der Menschheit eine einfache Wahl vor. »Entweder wir gehen weiter in Richtung einer Zukunft, die von Klimawandel, schwindender Natur, degradierten Böden und verschmutzter Luft verwüstet ist, oder wir ändern den Kurs und sichern einen gesunden Planeten, gesunde Menschen und gesunde Wirtschaften. Das ist eigentlich gar keine Wahl.«

Mut mache, dass die Welt bereits enorme Fortschritte erzielt habe. Andersen nannte hier die globalen Abkommen zu Klima und Biodiversität bis hin zu tatsächlichen Veränderungen – etwa den Boom der erneuerbaren Energien, beim weltweiten Ausbau von Schutzgebieten und beim Ausstieg aus giftigen Chemikalien.

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