Sudan: Geschichte eines Massakers

Zweieinhalb Jahre hat die Weltöffentlichkeit die Vorbereitung eines Massenmords beobachtet, kritisiert ein Experte

  • Dieter Reinisch, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.
Menschen, die aus Al-Faschir vertrieben wurden, in einem Flüchtlingslager im Norden des Sudan
Menschen, die aus Al-Faschir vertrieben wurden, in einem Flüchtlingslager im Norden des Sudan

Was ist der internationalen Gemeinschaft afrikanisches Leben wert, fragte der sudanesische Botschafter und permanente Repräsentant seines Landes bei den Vereinten Nationen, Magdi Ahmed Mofadal Elnour, am Donnerstag. Am Sitz der UN in der österreichischen Hauptstadt stellte er den neuen Bericht zur humanitären Lage in seinem vom Krieg gebeutelten Land vor.

Der Konferenzraum 3 im siebten Stock war spärlich besetzt: Russland, Nicaragua, Türkei, Saudi-Arabien, Palästina, Irak und ein paar andere Länder, überwiegend aus dem Globalen Süden, schickten Repräsentanten. Ein Vertreter der Europäischen Union fand sich ebenfalls ein, sonst war aus Europa nur San Marino zu erblicken.

Mehrmals kritisierte Elnour das Schweigen der internationalen Gemeinschaft zu den Verbrechen der RSF-Milizen im Sudan: »Es ist wichtig, dass wir diese Berichte hier vorstellen, denn es gibt sehr viele Fehlinformationen und immer noch sehr wenig Wissen«, sagte der hochrangige Diplomat dem »nd«.

Seit die RSF-Miliz am 26. Oktober die Stadt Al-Faschir eingenommen hat, sind die dort begangenen Massaker stärker im weltweiten Interesse. »60 000 Menschen wurden von den RSF-Rebellen nach der Einnahme massakriert«, berichtet Elnour. Rund 10 000 Männer seien verschwunden.

Vermutlich sind sie in Richtung Nyala gebracht worden. Die Stadt, rund 160 Kilometer südwestlich von Al-Fascher, ist der Sitz des RSF-Kommandos. Elnour spielt Aussagen von Vertriebenen und Überlebenden des Genozids vor, die sich 800 Kilometer durch die Wüste nach Al-Dabbah retten konnten – es sind nahezu ausschließlich Frauen und Mädchen, wie die 19-jährige Salam: »Sie fragten mich, ob ich noch eine Jungfrau bin. Ich habe ›ja‹ gesagt. Danach haben sie mich in eines ihrer Büros gebracht und vergewaltigt.«

Erst am 5. Dezember berichtete das World Food Programme (WFP), dass am Vorabend ein Konvoi nahe der Stadt Hamra El Sheikh in Nord-Darfur überfallen worden war. Es war der sechste Angriff auf einen WFP-Konvoi in diesem Jahr, acht humanitäre Mitarbeiter starben bisher.

Das Massaker von Al-Fascher hätte verhindert werden können, sagte Nathaniel Raymond, Director des Humanitarian Research Lab an Yale School of Public Health, bei einer Podiumsdiskussion an der Harvard Kennedy School vergangene Woche: »Wir haben den UN-Sicherheitsrat im Sommer 2023 informiert, dass es Vorbereitungen für ein Massaker gibt«, sagte Raymond dort: »Zweieinhalb Jahre wurden die Vorbereitungen von der Weltöffentlichkeit beobachtet.«

Obwohl im Juli 2024 die Resolution 2736 das Ende der Belagerung von Al-Fascher und ungehinderten humanitären Zugang verlangte, wurde dies von der Weltgemeinschaft ignoriert: »Die Rebellen werden von einem Land unterstützt, das für einige internationale Akteure wichtiger ist als das Leben der Menschen im Sudan«, sagte Elnour. Die Vereinigten Arabischen Emirate (UAE) stellen der RSF-Miliz moderne Technologien und Waffen zur Verfügung.

Diese wurden auch bei einem neuerlichen Massaker in Kalogi in Süd-Kordofan eingesetzt. Die RSF-Miliz habe einen Kindergarten mit Drohnen angegriffen, berichtete Elnour. Als Dorfbewohner versuchten, den Kindern nach dem Angriff zu helfen, wurden sie abermals angegriffen. Schließlich wurde auch das Krankenhaus bombardiert, in das Verletzte gebracht worden waren, so Elnour. Er zeigt Videoaufnahmen des Massakers sowie Zeugenaussagen. Über 120 Menschen starben, darunter die meisten Frauen und Kinder. 73 wurden verletzt, einige davon schweben noch in Lebensgefahr. Viele der getöteten Kinder waren nur drei oder vier Jahre alt: »Es war ein bewusster Angriff auf Zivilisten«, sagt Elnour, denn »die Gegend ist spärlich bebaut«.

Am Mittwoch wurde das wichtige Heglig-Ölfeld an der Grenze zum Südsudan von RSF eingenommen. Von dort führt eine 1600 Kilometer lange Pipeline nach Port Sudan am Roten Meer. Durch diese fließt auch viel Öl aus dem Südsudan. Der Staat erwirtschaftet 90 Prozent seiner Einnahmen aus dem Ölgeschäft.

Dadurch wurde der Südsudan von RSF in finanzielle Schwierigkeiten gebracht: »Die UAE haben Südsudan daraufhin finanzielle Hilfe angeboten. Es geht um Abhängigkeit: RSF nimmt den Zugang zur Pipeline weg, dann kommen die UAE und versprechen, den Südsudan zu unterstützen, wenn er eine Basis der RSF im Kampf gegen den Sudan wird«, erklärte Elnour.

Während der Vorstellung des Berichts trat dies ein: »Al Jazeera« meldete, dass nach einem Abkommen mit RSF die südsudanische Armee das Ölfeld auf sudanesischem Gebiet übernommen habe.

»Die UAE müssen endlich für ihre Unterstützung der RSF und ihre Massaker zur Rechenschaft gezogen werden und die RSF-Rebellen auf die Terrorlisten gesetzt werden«, forderte er zum Abschluss von den in Wien ansässigen internationalen Organisationen und der UN. Doch vielen von ihnen sind die wirtschaftlichen Beziehungen zum Golfstaat wichtiger. Nach Druck der UAE wurde deren Name sogar in letzter Minute aus einer kürzlich verabschiedeten EU-Verurteilung der Massaker im Sudan gelöscht. Nun kritisiert die EU lediglich »ausländische Einflussnahme im Sudan«.

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