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China: Wachstum mit aller Macht
Wie China seine Führung bei grünen Industrien organisiert und zementiert – und woran es scheitert
Die Klimakrise spitzt sich zu, doch der Westen erlebt ein neues Hoch des Fossilismus: Aufweichung des Verbrenner-Aus, milliardenschwere Investitionsoffensiven in Flüssiggas-Infrastrukturen und der Ausbau neuer Gas- und Ölförderprojekte. Mit »drill baby, drill« bringt US-Präsident Donald Trump seine Strategie auf den Punkt: eine sofortige Ausweitung der Öl- und Gasproduktion, ermöglicht durch die weitere Liberalisierung des Frackings. Hierzulande erklärt Bundeskanzler Friedrich Merz Windräder zur »Übergangstechnologie«, denn sie wären »hässlich« und passten »nicht in die Landschaft«. Zwar wolle man die Erneuerbaren ausbauen, doch bitte ohne »überambitionierte« Ziele, die die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Industrie gefährden könnten. Denn sowohl traditionelle Industrien wie Stahl, Zement, Chemie und Auto wie auch die neuen Datenzentren, KI-Anwendungen und Satellitenprogramme haben einen riesigen Energiebedarf und sind eng mit dem fossilen und nuklearen Kapital verflochten.
Während die westliche Energiewende stagniert, baut China in atemberaubendem Tempo die Produktion aus erneuerbaren Quellen aus: 2024 entfielen knapp zwei Drittel der weltweiten Neuinstallationen von Solar- und Windenergie allein auf die Volksrepublik. China hat nicht nur den Bau von Solar- und Windparks an sich gezogen, sondern auch zentrale Knotenpunkte der Wertschöpfungsketten monopolisiert – von seltenen Erden und Polysilizium bis zur Endmontage von Solarmodulen und Windturbinen.
Grüner Parteistaatskapitalismus
Es zeigt sich: Für den Moment hat der Westen das Projekt eines »grünen Kapitalismus« – ohnehin ein Widerspruch in sich – an China verloren. Doch wie hat China das gemacht? Und welche Widersprüche zeigen sich dabei? Das chinesische »Solar- und Windwunder« fiel nicht einfach vom Himmel, sondern ist das Resultat eines partei-staatskapitalistischen Entwicklungsmodells, das einerseits die enormen produktiven Dynamiken des Kapitalismus freisetzt, zugleich aber neue Krisen und ökologische Widersprüche hervorbringt.
Der Erfolg des Ausbaus der Erneuerbaren in China liegt in den Steuerungsmöglichkeiten des partei-staatlichen Kapitalismusmodells begründet. Denn anders als im Westen wurde »grüner Kapitalismus« in China nicht durch rein marktbasierte Instrumente umgesetzt. Vielmehr ist Chinas Erneuerbaren-Expansion Ergebnis einer starken partei-staatlichen Steuerung.
Zentral waren hierbei hohe, regional variierende Einspeisevergütungen für Solarenergie ab 2011 für Windenergie ab 2009. Besonders wind- und sonnenreiche – und wirtschaftlich abgehängte – Provinzen wie Xinjiang und Gansu im Nordwesten, Hebei und Innere Mongolei im Norden und Heilongjiang, Shandong, Liaoning im Nordosten zogen dadurch massiv Investitionen in Solar- und Windparks an. Hinzu kommt, dass der Parteistaat auch die Netzentgelte und Endverbraucherpreise festlegte. Beides wurde so gestaltet, dass stabile Profitmargen für Stromerzeuger und Netzbetreiber garantiert waren. Preisschwankungen wurden eliminiert, Profiterwartungen kalkulierbar.
Neben diesen preispolitischen Maßnahmen wurden Solarmodul- und Windturbinenproduzenten industriepolitisch gefördert. 2010 – in einer Zeit, als China zum größten CO2-Emittenten wurde – wurden erneuerbare Energien als strategische Leitsektoren definiert. Seitdem erfahren sie massive Förderung: durch konkrete Ausbauziele, Subventionen, Steuerrabatte, vergünstigte Kredite staatlich kontrollierter Banken und vereinfachte Landzuteilung für Solar- und Windparks.
Zentral war auch das Staatseigentum an den größten Stromerzeugern – den »Big Five« Huaneng Group, Huadian Group, China Energy, State Power Investment Corporation und Datang Group. Diese riesigen Stromkonzerne sind im Eigentum der Kommission zur Kontrolle und Verwaltung von Staatsvermögen, die direkt dem Staatsrat untersteht. Sie investierten massiv in den Ausbau von Solar- und Windparks und steuerten dadurch die Nachfrage nach Solarmodulen und Windkraftanlagen, wovon deren direkte Produzenten stark profitierten. Solarmodulproduzenten wie LONGi Green Energy oder JinkoSolar und Windturbinenhersteller wie Goldwind oder Envision sind hingegen im privaten und hybriden Eigentum. Allerdings nicht ohne partei-staatliche Aufsicht: So haben viele dieser Unternehmen Parteizellen in ihren Konzernzentralen gegründet, die zentrale Investitionsentscheidungen überwachen und diese eng mit den übergeordneten industriepolitischen Zielen des Parteistaats verzahnen.
Dieser »grüne Parteistaatskapitalismus« – eine Kombination aus preispolitischen Maßnahmen, industriepolitischer Förderung, Staatseigentum bei Stromerzeugern und Privateigentum bei Modul- und Turbinenproduzenten – stabilisierte die Profiterwartungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. So wurde Chinas Investitionsboom befeuert und das Land an die Weltmarktspitze katapultiert. Heute werden rund 97 Prozent aller Wafer, 85 Prozent aller Solarzellen und 60 Prozent aller Rotorblätter für Windkraftanlagen in China hergestellt.
Profitkrise und Marktbereinigung
Doch der »grüne Parteistaatskapitalismus« ist keinesfalls statisch. Mit den Stromsektorreformen ab 2015 leitete die chinesische Staatsklasse einen Steuerungswechsel ein, der auf Preisliberalisierung und Vermarktlichung des Stromhandels zielt. Subventionen wurden massiv gekürzt, zugleich wurde der Stromhandel schrittweise vom »geplanten System« auf marktförmige Mechanismen umgestellt: Mittel- und langfristige Direktabnahmeverträge zwischen Erzeugern und Großverbrauchern lösten staatlich fixierte Preise und Mengen ab. Zugleich wurden auf Provinzebene Energie-Spotmärkte nach westlichem Vorbild eingeführt. Hinzu kommt der Übergang von festen Einspeisevergütungen zu Auktionssystemen, bei denen derjenige Stromerzeuger den Zuschlag erhält, der den niedrigsten Preis bietet.
Diese Reformen lösten einen intensiven Preiswettbewerb aus, der entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von Stromerzeugern über Solarmodul- und Windturbinenhersteller bis hin zu Zulieferern – weitergegeben wird. Preise und Profiterwartungen wurden zunehmend wenig kalkulierbar.
Die Liberalisierung fällt mit bereits bestehenden Überkapazitäten zusammen und verstärkt deren Auswirkungen. Die Folge: Modul- und Turbinenpreise befinden sich im freien Fall, und die Profite der Produzenten brechen massiv ein. Im vergangenen Jahr verzeichneten selbst Branchenführer wie LONGi, Trina Solar oder Tongwei Verluste. Als Antwort auf diese Profitkrise entließen die fünf größten Solarproduzenten im vergangenen Jahr rund 87 000 Beschäftigte – das entspricht etwa einem Drittel ihrer Gesamtbelegschaft und übertrifft beispielsweise den Beschäftigungsabbau in der deutschen Automobilindustrie um das Vierfache.
Die Krise erzeugt wachsende Spannungen zwischen den Solarkonzernen und der chinesischen Regierung: Gao Jifan, Vorstandschef von Trina Solar, appellierte offen an die Regierung, den »überhitzten Wettbewerb« abzukühlen, da auf dem aktuellen Preisniveau »entlang der gesamten Wertschöpfungskette kein Gewinn« mehr möglich sei. Doch die chinesische Regierung setzt den Liberalisierungskurs bislang weiter fort.
Die Widersprüche des grünen Parteistaatskapitalismus treten offen zutage: Ohne erneute zentrale Koordination droht die Branche in einer Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und kollabierender Profitabilität zu verbleiben. Zwar verfügen die größten Unternehmen noch über finanzielle Reserven. Doch es bleibt unklar, ob die Investitionsfähigkeit des Sektors unter diesen liberalisierten Marktbedingungen mittelfristig gesichert werden kann.
Das Wachstum und sein Widerspruch
Chinas Energiewende stößt aber nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch an Grenzen. Der massive Ausbau der Erneuerbaren läuft parallel zur Ausweitung fossiler Energien – vor allem Kohle, von der Chinas Energieerzeugung weiterhin zu über 70 Prozent abhängt. Neue Kohlekraftwerke werden in rasanter Geschwindigkeit genehmigt und gebaut: 2024 entfielen 93 Prozent aller weltweiten Neubauten auf China.
Der Grund für den parallelen Ausbau von Kohle und Erneuerbaren: Der Energiehunger wächst schneller als die Produktion der Erneuerbaren Energien. Allein 2025 dürfte der Stromverbrauch erneut um rund sechs steigen, getrieben vom industriellen Wachstum und dem expandierenden digitalen Hightech-Sektor.
Unter den Bedingungen des kapitalistischen Wachstumszwangs ersetzen die Erneuerbaren daher nicht die fossilen Energien, sondern ergänzen sie. Genau darin liegen die strukturellen Grenzen staatlicher Dekarbonisierung im Kapitalismus. Chinas grüner Parteistaatskapitalismus zeigt damit zugleich sein Potenzial und seine Grenze: Er kann grüne Investitionen organisieren, aber er kann den Widerspruch zwischen Wachstum, Klimaschutz und ökonomischen Krisen nicht aufheben. Angesichts der eskalierenden Klimakrise brauchen wir jedoch einen demokratisch geplanten industriellen Rückbau, die konsequente Abkehr vom Fossilismus und einen grundlegenden Bruch mit seinen Produktions- und Lebensweisen.
Philipp Köncke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Uni Jena und forscht zum chinesischen Kapitalismus.
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