Grüne wickeln die CDU ein

Ökopartei und Konservative kommen sich in Baden-Württemberg sehr nahe

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
Obwohl der Landesverband der Grünen in Baden-Württemberg als konservativ gilt, sind in den Sondierungen einige Differenzen mit der CDU deutlich geworden. Unüberwindbar sind diese aber nicht.

In Baden-Württemberg läuft alles darauf hinaus, dass Grüne und CDU bald Verhandlungen über die Bildung einer Koalition beginnen werden. Die Landtagsfraktion der Konservativen votierte am Mittwoch einstimmig dafür. Im Laufe des Abends wurde außerdem die Zustimmung des Präsidiums und des Landesvorstands der Christdemokraten erwartet. Die Koalitionsverhandlungen könnten dann bereits am Freitag beginnen. Sie dürften sich einige Wochen hinziehen. Am 12. Mai soll der Stuttgarter Landtag den Ministerpräsidenten wählen. Der seit dem Jahr 2011 amtierende Grünen-Politiker Winfried Kretschmann will dann seine Arbeit als Regierungschef fortsetzen.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen er und seine Parteikollegen zunächst einige heikle Themen mit der CDU klären. Im Unterschied zur grün-roten Vorgängerregierung, die seit der Landtagswahl vom 13. März keine Mehrheit mehr hat, bestehen größere Differenzen zwischen den beiden angehenden neuen Partnern. Der nach der Landtagswahlniederlage in der eigenen Partei umstrittene CDU-Fraktionsvorsitzende Guido Wolf nannte in diesem Zusammenhang vor allem die Gemeinschaftsschule, die Verkehrspolitik sowie die »innere Sicherheit«. Die Christdemokraten sind im Unterschied zu den Grünen gegen neue Gemeinschaftsschulen und wollen stattdessen Realschulen, Gymnasien und Berufliche Schulen verstärkt fördern. In der Verkehrspolitik will die CDU bessere Bedingungen für Autofahrer schaffen, die Grünen hingegen den Radverkehr ausbauen. Hinzu kommt der Konflikt zwischen den beiden Parteien um eine anonymisierte Kennzeichnungspflicht für Polizisten bei Großeinsätzen und Demonstrationen, die von den Grünen präferiert wird.

Die Differenzen scheinen allerdings nicht unüberwindbar zu sein. Zudem haben Grüne und CDU auch schon einige Gemeinsamkeiten ausgemacht. Das betrifft etwa die Haushaltspolitik. Nach den Vorgaben der sogenannten Schuldenbremse wollen Grüne und CDU ab dem Jahr 2020 keine neuen Schulden im Landeshaushalt mehr aufnehmen. Trotzdem dürften sie auch über kleine Details lange streiten. Die CDU muss ihrer Anhängerschaft nämlich einige Erfolge aus den möglichen Koalitionsverhandlungen präsentieren, um die Akzeptanz für Grün-Schwarz zu stärken. In der Partei gibt es nämlich Befürchtungen, dass das eigene Profil in einer solchen bundesweit erstmaligen Konstellation als Juniorpartner der Grünen kaum noch sichtbar sein würde. Von der Reutlinger CDU hieß es, dass die Mitglieder landesweit einer grün-schwarzen Regierung zustimmen sollten.

Allerdings ist nach Absagen von SPD und FDP an mögliche Dreierbündnisse keine andere Koalitionsbildung als Grün-Schwarz mehr möglich. Neuwahlen würden wohl nur der AfD nützen. Die rechte Partei stellt nach der Landtagswahl mit 23 Abgeordneten die drittgrößte Fraktion im Stuttgarter Landtag. Dass weitere Erfolge der AfD vor allem ihre Partei weiter schwächen würden, ist der Führung der CDU durchaus bewusst.

Bei den Grünen sind derzeit keine Stimmen von wichtigen Funktionären gegen eine Koalition mit der CDU zu hören. Landeschefin Thekla Walker erklärte salopp, dass aus der Sicht ihrer Partei Koalitionsverhandlungen nichts im Weg stehe. Parteilinke aus anderen Landesverbänden verwiesen darauf, dass jeder Landesverband selbst über eine Koalitionsbildung entscheide. Die Grünen wissen, dass sie als größerer Partner wohl die Gewinner von Grün-Schwarz sein werden. Außerdem gibt es im Südwesten kaum innerparteilichen Widerstand gegen die teilweise konservativ geprägte Politik von Kretschmann, der auch deswegen bei den Christdemokraten beliebter geworden ist, weil er in den vergangenen Monaten in der Länderkammer die Asylrechtsverschärfungen der schwarz-roten Bundesregierung unterstützt hat. Die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel hatte Kretschmann immer wieder überschwänglich gelobt.

Baden-Württemberg ist eine Hochburg der grünen Realos. Prominente Mitglieder des Landesverbands sind der Bundesvorsitzende Cem Özdemir und die stellvertretende Bundestagsfraktionschefin Kerstin Andreae. Sie gelten ebenso wie die grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Stuttgart), Dieter Salomon (Freiburg) und Boris Palmer (Tübingen) als besonders wirtschaftsnah. Der Landtagswahlsieg von Kretschmann hat gute Voraussetzungen dafür geschaffen, dass dieser Flügel auch in der Bundespartei weiter an Einfluss gewinnen wird.

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