»Panama Papers« und die Grenzen der Aufklärung

Tom Strohschneider über kapitalistische Medienlogik, Putins hervorgehobene Nicht-Rolle und die Leerstellen der Kritik daran

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Die »Panama-Papers« sind ein Lehrstück in Sachen Aufklärung: Darüber, welche medialen Logiken in der warenförmigen Neuigkeitenproduktion greifen. Darüber, was bei Enthüllungen falsch laufen kann. Und darüber, warum manche Kritik an politischer Einseitigkeit des Coups selbst Leerstellen hat.

Als am Sonntagabend die ersten Meldungen über die »Panama Papers« liefen, standen zwei Dinge fest: Die beteiligten Medien hatten im Rattenrennen um exklusive Nachrichten einen großen Erfolg gelandet – und es war ebenso klar, dass das Thema noch länger Schlagzeilen machen würde. Schon die Veröffentlichungspraxis früherer Enthüllungen wurde so »strukturiert«: Weil die teure Investition (Recherche) auch noch Erträge (Nachrichten) bringen soll, wenn alle schon darüber berichtet haben, tröpfelt die Erkenntnis bisweilen in sehr kleinen Dosen in die Öffentlichkeit. Aber: Es bleibt Erkenntnis.

Mit dieser ökonomischen Logik eng verwandt ist etwas, das man herrschaftskonformen Populismus nennen könnte: Nicht nur der britische »Guardian« hat bei seiner Aufmachung der »Panama Papers« Russlands Staatschef Wladimir Putin ins Zentrum gerückt – der in den geleakten Daten gar nicht vorkommt, sondern lediglich ein Vertrauter von ihm. Mit dessen Namen aber hätte man keine Schlagzeile machen können. »Putin zieht die Fäden, der Russe ist mal wieder der Böse«, so lautet, folgt man dem Medienjournalisten Stefan Winterbauer, das dahinter stehende Motiv. Und der frühere britische Diplomat Craig Murray hat die Putin-Betonung sogar zum Anlass genommen, den an der Enthüllung beteiligten Medien vorzuwerfen, »a direct western governmental agenda« zu verfolgen – also westliche Regierungsziele. Eines seiner Argumente: Die Stiftung, die das Recherchenetzwerk ICIJ trägt, bekommt ihr Geld von einflussreichen und einflusssuchenden Spendern.

Was diese Kritik nicht einpreist: Der »Guardian« zum Beispiel hat einen Tag später mit den Verstrickungen von Premier David Cameron aufgemacht. In Deutschland drehte sich der Fokus der Enthüllungen an Tag zwei der »Panama Papers« ebenso deutlich auf die deutschen Steuervermeider und ihre Helfershelfer unter den Banken und in der Politik. Zudem könnte es ja auch Gründe geben, warum bisher tatsächlich nicht so viele westliche Politiker oder Unternehmen mit Briefkastenfirmen auf Panama erwischt wurden – weil sie woanders inzwischen ebenso gute schlechte Möglichkeiten haben, Steuern zu vermeiden.

Der Österreichische »Standard« merkt zu Recht an, dass viel von dem Schwarzgeld, das früher in die Schweiz oder auf die Bahamas floss, heute in Nevada oder Wyoming versteckt wird. Die Frage, wem das ganze, politisch gestützte System der legalen Steuervermeidung dient, muss ebenso gestellt werden wie die nach dem berühmten Cui bono. Aus den »Panama Papers« aber eine Attacke westlicher Agenten oder regierungshöriger Journalisten zu machen, ist ebenso Vernebelung. Das Obszöne an der hier in Rede stehenden privaten Reichtumsmehrung ist ja nicht, dass der Profiteur aus einem bestimmten Land kommt. Sondern dass es ihn mit staatlicher Rückendeckung überhaupt noch gibt. Weltweit. Übrigens: Deutschland ist laut dem Tax Justice Network unter den Top Ten der für Schwarzgeldkonten, Geldwäsche und Steuerhinterziehung attraktiven Staaten. Fünf Plätze vor Panama.

Statt nun also zu beklagen, dass sich Medien im Kapitalismus wie Medien verhalten, ihr Coup mithin Teil der Verhältnisse ist, über die aufzuklären eine Enthüllung beiträgt, sollte der Blick auf die Substanz gerichtet werden – es geht im Kern um ein Verteilungsproblem und eines des politischen Willens, den staatlichen Selbstanspruch eines Mindestmaßes an Solidarität auch wirksam durchzusetzen. Damit sind linke und fortschrittliche Kräfte in Russland genauso konfrontiert wie in Saudi-Arabien oder den USA. Und wer vom Zufall dazu ausgewürfelt ist, die herrschende Verhältnisse hierzulande zu ertragen, muss das allererste Objekt seiner Kritik nicht erst irgendwo auf der Welt suchen.

»Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung«, so lautet der Untertitel eines Buches über die »Panama Papers«, das an diesem Mittwoch kaum 48 Stunden nach der ersten Nachricht darüber erscheint. Die Enthüllung als Produkt. Das Ganze ist also auch eine Geschichte des politischen und wirtschaftlichen Umgangs mit Informationen in Medien, deren oft beschworene Objektivität nicht erst seit Sonntagabend eine Fiktion ist. Man sollte aber nicht vergessen: Die Kritik daran ist nicht frei von der Gefahr, selbst in Gegenaufklärung umzuschlagen. Auch diese Geschichte wird gerade geschrieben.

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