Die LINKE zieht die nationale Karte

Für Wiljo Heinen sind Schutzzölle kein Instrument gegen Freihandel. Eine Antwort auf Alexander Ulrich (»nd« vom 31.3.)

  • Wiljo Heinen
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Widerstand gegen TTIP konzentriert sich auf dessen Ziel, »nichttarifäre Handelshemmnisse« zu beseitigen. Dahinter steckt die Befürchtung, dass dieses Abkommen zwischen den USA und der EU dazu führen wird, Umwelt- und Gesundheitsstandards in der Produktion auf das jeweils geringere Niveau der Vertragsstaaten zu reduzieren. Nach allem, was wir wissen, scheint diese Befürchtung angebracht. Alle Erfahrung zeigt, dass das Kapital immer danach strebt, die »Kosten zu senken«. Unter dem Deckmantel des »Freihandels« ist TTIP ein willkommener Hebel dazu.

Im Zuge des Widerstandes gegen TTIP verbreitet sich die Erkenntnis, dass Zölle ein wirtschaftspolitisches Instrument darstellen - ähnlich wie Steuern es sind. So hat Alexander Ulrich (LINKE) an dieser Stelle Argumente präsentiert, die ihren fortschrittlichen Charakter belegen sollen. Sie dienen dem Schutz der inländischen Produzenten vor der Konkurrenz der ausländischen: Indem Einfuhrzoll erhoben wird, erhalten inländische Produkte einen Preisvorteil. Den inländischen Konsumenten entsteht dadurch ein Nachteil durch höhere Preise, der durch Transferzahlungen des Staates (aus den Zolleinnahmen) ganz oder teilweise ausgeglichen werden kann. Soweit die einfachste Theorie.

Durch Zölle kann das inländische Industrie- und Agrarkapital eine Weile beschützt werden, doch schon zu Bismarcks Zeiten funktionierte das nicht auf Dauer. Selbst Importzölle von 60 Prozent auf landwirtschaftliche Produkte bewahrten dessen Programm zum »Schutz der nationalen Arbeit« nicht vor dem Scheitern in der damaligen Agrarkrise. Zölle können den Aufbau einer inländischen Produktion unterstützen, und hierhin gehört auch die Warnung an Entwicklungsländer vor Freihandelsabkommen mit Giganten der Warenproduktion. Eine überkommene Produktionsweise, wie beispielsweise von Nahrungsmitteln auf »handtuchgroßen« Feldern mit Schutzzöllen zu sichern, kann jedoch auf Dauer nicht gelingen. Das zeigt die Erfahrung.

Nun ist die Lage der heutigen Bundesrepublik in der weltweiten Arbeitsteilung eine andere als die Deutschlands zu Bismarcks Zeiten und das einfache Modell der Wirkung von Zöllen so auch nicht mehr anwendbar. Wenn Zölle auferlegt werden, kann nämlich der Welthandelspreis des zollbelegten Produkts sinken, womit die Vorteile des einheimischen Kapitals im Inland kleiner werden, seine Nachteile im Ausland größer. Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurde eine Menge Erfahrung in der Wirkung von Zöllen gesammelt, eine komplexe Theorie dazu steht aus. Klar ist nur, dass die einfachste Theorie auch nur das Einfachste erklären kann.

So ist es keineswegs ausgemacht, dass Zölle das inländische Lohnniveau stabilisieren. Zölle erhöhen das Preisniveau und sorgen so dafür, dass der Druck in Richtung Lohndumping für den Moment kleiner wird. Gleichzeitig bedeutet das höhere Preisniveau aber, dass über die Mechanismen des Marktes auch die Preise anderer Waren auf höherem Niveau gehalten werden können. So bleibt zwar mehr auf dem Konto der Lohnabhängigen, aber gleichviel oder weniger im Einkaufswagen. Empirische Befunde zeigen, dass über eine mittlere Frist Schutzzölle keinen Einfluss auf das Niveau des Reallohns haben. Es ist auch heute noch so: Der Preis der Ware Arbeitskraft sinkt immer auf das zum Leben Notwendige.

Zölle sind ein verlockendes Instrument, weil sie zwischen Inländern und Ausländern unterscheiden. Betrachtet man aber die volkswirtschaftlichen Auswirkungen, sollten Linke vorsichtig werden. Beim Vorschlag, Zölle als Ersatz für Steuern zu nutzen, scheint der Zusammenhang einfach: Die internationalen Lohndrücker zahlen augenscheinlich für die Daseinsvorsorge der Inländer. Das klingt »gerecht«. Tatsächlich jedoch zahlen die Konsumenten über die höheren Preise den Zoll an das inländische Kapital (denn ihm soll ja gerade der Preisdruck genommen werden). Der Zoll gleicht höchstens den Verlust der Konsumenten aus. Volkswirtschaftlich zahlen dann die Konsumenten den Preis der Daseinsvorsorge und das inländische Kapital wird entlastet. Eine höhere Steuer auf Kapitaleinkommen, etwa auf Höhe der Steuer für Lohneinkommen, wäre einfacher und gerechter.

Insgesamt schienen Linke gut beraten, weniger auf die nationale Karte zu setzen und zwischen inländischem und ausländischen Kapital zu unterscheiden, dafür mehr zwischen Kapital und Lohnabhängigen. Das galt schon für die alte Sozialdemokratie.

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