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«Speist uns nicht ab ...»
Klaus-Dieter Schönewerk: Seine Gedichte gesammelt in einem Band
Der Lyriker Henry-Martin Klemt hat es sich zur Aufgabe gemacht, den literarischen Nachlass des Ehepaares Eva und Klaus-Dieter Schönewerk einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nachdem vor Monaten Eva Schönewerks Gedichte in Buchform präsentiert werden konnten, legt er nun einen umfänglichen Lyrikband ihres Lebensgefährten nach. Klaus-Dieter Schönewerk, 1942 im thüringischen Greußen als Sohn einer Schrankenwärterin geboren, hat seinen Vater nie kennengelernt. Der fiel für «Führer, Volk und Vaterland» als Wehrmachtssoldat vor Stalingrad. Der Sohn wird ihn später im Gedicht befragen: «Was suchtest Vater du / Auf fremder Erde? / Wer lud dich ein? / … Der Tag / der mich gebar / War grau …»
Schönewerk volontierte in der Redaktion eines Lokalblattes und leitete das Kulturhaus seiner Heimatstadt, bevor er in Jena Germanistik und Kunstwissenschaft studierte. Die längste Zeit seines Lebens, das bis 2014 währte, wirkte er als Kulturjournalist, von 1967 bis 1992 in der Redaktion der Tageszeitung «Neues Deutschland». Nach 1992 wurde er arbeitslos, hielt sich als ABMler über Wasser und gab am Prenzlauer Berg die Kiez-Zeitung «Mittendrin» heraus. Welchen Stellenwert KD, so nannten ihn seine Freunde, der eigenen poetischen Produktion zumaß, ist nicht überliefert. Schwadroniert jedenfalls hat er mit seinen von Brecht und Becher nachhaltig beeinflussten Gedichten wohl nicht. Knapp zweihundert lyrische Texte hat der Herausgeber Klemt in die nun erschiene Auswahl einbezogen. Entstanden zwischen 1959 und 2013, offenbaren sie eine erstaunliche Themenvielfalt bei nachgerade spartanischer Beschränkung auf die überlieferte Formensprache und eine vorwiegend konventionelle Bildwelt des traditionellen Gedichts. Klangverliebt reimt der Siebzehnjährige: «Singend und sacht / Streicht der Wind durch die Nacht. / Ruhlos / Und groß / Ist die Sehnsucht erwacht» («Singend und sacht»).
Poetischeres findet sich allerdings zur Genüge. Kindheit wird in verhaltenen Versen heraufbeschworen, die Protokolle des Frühlings, notiert in Großvaters Fliederbaumgarten, die Stunde der Wunder. Mond, Regen und Gras fügen sich ins lyrische Bild gerade so wie die hundertjährige Buche am Straßenrand oder die bizarren Segnungen des Nebels, der das geliebte Du umhüllt und dennoch erahnen lässt. Auch dass mit sympathisch hintergründigem Humor jener «größten Bohrinsel der östlichen Welt» nachgelacht wird, die, von Stalin nach Deutschland geschickt, bei Schwerin ein paar Tropfen Öl aus dem Boden hievte, bevor sie «im Meer der Geschichte versank», darf nicht unerwähnt bleiben.
Vor allem das spät gereifte Werk Schönewerks offenbart den originären Dichter ganz. So wenn er, zum Exempel, verknappt konstatiert: «Ach, das sind wir / vergesslich / Wir können uns nicht mehr erinnern / Alles muß / unterliegen / Wo ich hingeh / bleibt mir verborgen …» («Mein Leben). Oder geradlinig und markanter noch im Sonett »Der Gekreuzigte«, auf Fritz Cremers Plastik: »Er nimmt nicht auf sich all die Menschenleiden / und von den Herrn nicht, was sie häufen, Schuld, / speist uns nicht ab mit Demut und Geduld. // Und ungestüm reißt er vom Kreuz sich los, / dann, aufgerichtet, geht er mit uns, groß …«
Klaus-Dieter Schönewerk: Museum für Wunder. Die Gedichte. Herausgegeben von Henry-Martin Klemt. 232 S., br., 10 €.
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