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»Nur die Spitze des Eisbergs«

Vorgetäuschte Sicherheitschecks in den Atomkraftwerken aufgeflogen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Atomkraftwerke müssen, wie andere technische Anlagen, regelmäßig überprüft werden. Offenbar ist das in einigen deutschen Reaktoren jedoch nicht passiert.

Werden Sicherheitskontrollen in deutschen Atomkraftwerken oftmals nur vorgetäuscht? Zwei in den vergangenen Tagen bekannt gewordene Vorfälle deuten darauf hin. Am Mittwoch hatte zunächst das Umweltministerium in Baden-Württemberg darüber informiert, dass ein Beschäftigter im Atomkraftwerk Philippsburg 2 eine Prüfung an einem Störfallmonitor zwar in einem Prüfprotokoll dokumentiert, diese Prüfung tatsächlich aber gar nicht vorgenommen hatte. Weitere Nachforschungen ergaben dann, dass derselbe Mann die Kon- trolle in sieben weiteren Fällen nur fingiert hatte. Der Betreiber des AKW, Energie Baden-Württemberg (EnBW), teilte mit, dass der Betreffende nicht bei dem Unternehmen selbst angestellt sei, sondern bei einem externen Dienstleister.

Am Freitag berichteten Medien über ähnliche Vorfälle im hessischen AKW Biblis, das seit 2011 nicht mehr im Leistungsbetrieb ist. Demnach hat dort ein für den Strahlenschutz zuständiger Mitarbeiter in den Jahren 2014 und 2015 Sicherheitsprüfungen an Messgeräten nur vorgetäuscht. Weil die Dokumentation der vermeintlichen Ergebnisse auffällig gewesen sei, hätten der Kraftwerksbetreiber RWE und das hessische Umweltministerium als zuständige Atomaufsichtsbehörde nach Recherchen den Fall aufdecken können.

Unterschiedlich ist der politische Umgang mit den Vorgängen: Während Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) die Ereignisse in Philippsburg als »hochgradig beunruhigend und nicht akzeptabel« bezeichnete, strenge Kontrollen ankündigte und vom Betreiber einen schriftlichen Bericht bis Montag einforderte, hüllte sich Unterstellers hessische Amtskollegin und Parteifreundin Priska Hinz weitgehend in Schweigen.

Ihr Ministerium ließ auf Anfrage nur eilfertig mitteilen, eine sicherheits- und strahlenschutztechnische Gefährdung könne ausgeschlossen werden. Eine schriftliche Presserklärung gab es nicht, gestern prangte stattdessen die Mitteilung »Hessischer Spargel ist ein Qualitäts- und Erfolgsprodukt« auf der Homepage des Hauses. Dabei wisse das Ministerium bereits seit Mai 2015 von den Vorfällen, habe aber weder die Öffentlichkeit noch die Medien darüber informiert, kritisiert die Linkspartei-Landtagsabgeordnete Janine Wissler. »Das ist ein unfassbarer Vorgang.«

Hinz müsse sich die Frage gefallen lassen, ob sie Täuschungen in Biblis bewusst habe verschleiern wollen. An der Seite der CDU schienen es die hessischen Grünen mit einem transparenten und kritischen Umgang mit der Atomenergie nicht mehr so ernst zu nehmen. Wissler kündigte an, die Angelegenheit im Landtag zu thematisieren. Auch von der SPD wurde Hinz scharf angegriffen: Mit ihrer »Informationsunterlassung« schade die Ministerin der Vertrauensbildung, sagte der Landtagsabgeordnete Norbert Schmitt. Seine Partei werde eine Sondersitzung des Umweltausschusses beantragen, in der Hinz Rede und Antwort stehen müsse.

Derweil ist die Anti-Atom-Organisation »Ausgestrahlt« davon überzeugt, dass es sich bei den nun aufgeflogenen gefälschten Sicherheitskontrollen in Philippsburg und Biblis »nur um die Spitze des Eisbergs« handelt. In den angeblich so sicheren deutschen Atomkraftwerken seien Schlampereien offensichtlich an der Tagesordnung, sagte »Ausgestrahlt«-Sprecher Jochen Stay. Statt wie in der Luft- und Raumfahrt bei Kontrollen konsequent auf das Vier-Augen-Prinzip zu setzen, werde in Sachen Atomsicherheit gespart.

Stay wies zudem darauf hin, dass Fremdfirmen wie in Philippsburg üblicherweise nicht nur in einem AKW tätig sind, sondern an vielen Standorten bundesweit arbeiteten. Deswegen müssten jetzt in allen Reaktoren die Kontrollen der letzten Jahre überprüft werden. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Atomexpertin Sylvia Kotting-Uhl sagte, es müsse nun analysiert werden, ob es Lücken im deutschen Regelwerk für AKW-Prüfungen gebe.

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