Grüne wollen endlich mitregieren

Partei legt im Akkordtempo Programmparteitag hin / Wenig Kontroversen um Inhalte

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Alles Gute, was in den letzten Jahrzehnten umgesetzt wurde, waren letztendlich grüne Ideen und mit den Grünen an der Macht wird es noch viel besser. So lautete der Tenor auf dem Programmparteitag.

Einstimmig und ohne Enthaltungen votierten die Delegierten der Grünen am Samstag für das Wahlprogramm zur Abgeordnetenhauswahl am 18. September 2016. Zwei Stunden früher als geplant war die Landesdelegiertenkonferenz mit den Änderungsanträgen durch. Das ist für die traditionell diskussionsfreudige Partei tatsächlich eine kleine Sensation.

Das Geheimnis lag natürlich an der Vorbereitung. »Wir saßen in den letzten Tagen zum Teil bis halb drei Uhr nachts in der Geschäftsstelle«, berichtete der Landesvorsitzende Daniel Wesener. Zum ersten Mal habe er sich gefragt, warum die Partei ihn hasse. Das Ergebnis habe sich jedoch gelohnt. Von ursprünglich 700 Änderungsanträgen schnurrte die Zahl durch Diskussionen und Kompromissformulierungen auf nur noch 23, über die auf dem Programmparteitag schließlich abgestimmt wurde, zwei Änderungen wurden schließlich beschlossen.

Eine betraf den Nichtraucherschutz. Der Programmentwurf sah ein absolutes Rauchverbot in der Gastronomie vor, da sich die Ausnahmen nicht bewährt hätten. Dem widersprach die junge Abgeordnete Katrin Schmidberger aus Friedrichshain-Kreuzberg. »Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersatmenden«, sagte sie, die Grünen könnten jedoch auch nicht die Menschen vor allem bewahren. Auch die Möglichkeit zu rauchen gehöre zum Berliner Freiheitsgefühl, sagte sie in ihrer kurzen Rede, die mit tosendem Applaus belohnt wurde. Es war der emotionalste Moment der Veranstaltung. Tatsächlich entledigte sich die Partei mit dem Votum für einen »liberalen Nichtraucherschutz« auch eines Vorschlags, der durchaus das Image als sittenstrenge Verbotspartei hätte beflügeln können. Ist ja nicht Baden-Württemberg hier.

Liberal, weltoffen und sozial wollen die Berliner Grünen sein. Der politische Ton werde härter, der Wind werde härter angesichts der Wahlerfolge erzkonservativer Sozial-Nationalisten, sagte Spitzenkandidatin Ramona Pop in ihrer Auftaktrede. »Umso mehr kommt es darauf an, die Werte unserer offenen Gesellschaft immer aufs Neue gegen ihre Feinde zu verteidigen.« Gerade in diesen Tagen fühle es sich ganz besonders richtig an, Grüne zu sein.

Großes Augenmerk legt die Partei auf die Wohnungsfrage. Die Spekulation soll mit einer modifizierten Grunderwerbssteuer eingedämmt werden und viel Wohnraum im nicht kommerziellen Sektor, also bei städtischen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften, entstehen. Manche Änderungsanträge bezeichnete Daniel Wesener in seiner Gegenrede als »Wortklaubereien«, so etwa die Formulierungsfrage, ob die »Inklusion« oder »Integration« von Geflüchteten das Ziel sei. »Ich möchte, dass wir eine Sprache wählen, die jeder versteht.« Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, zog Özcan Mutlu seine Kandidatur für den einflussreichen Parteirat zurück. Die inzwischen ebenfalls zurückgezogene Kündigung eines Kosmetiksalons in seinem Mietshaus in Prenzlauer Berg hatte für Aufruhr gesorgt.

Man solle durchaus danach streben, auch Posten wie den des Innensenators zu übernehmen, hieß es auf dem Parteitag. Nur so könne das Kartell von CDU und SPD auf dieses Amt aufgebrochen und Dinge wirklich anders gemacht werden. Natürlich könne das auch bedeuten, dass Grüne für Abschiebungen verantwortlich seien.

Dazu müsste die Partei aber auch an die Regierung kommen, im Moment wäre wohl Rot-Rot-Grün die realistischste Option, so lange die AfD im Spiel ist. Damit habe sie sich noch lange nicht abgefunden sagte Ramona Pop. »Ich finde, wir in Berlin sollten der AfD und der ganzen Republik zeigen, dass Berlin anders ist.«

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