SPD entdeckt Rentenpolitik als Wahlkampfthema

In der sozialdemokratischen Führung werden Stimmen lauter, einstige Reformen zumindest teilweise rückgängig zu machen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
Weil immer mehr Menschen Altersarmut droht, hat die SPD-Spitze eine Kehrtwende in der Rentenpolitik angekündigt. Diese wird aber in der Großen Koalition mit der Union wohl nicht umsetzbar sein.

Bei öffentlichen Anlässen betont Sigmar Gabriel oft, dass seine SPD die »Partei der fleißigen Leute« sei. Der Parteichef will Arbeiter und Angestellte, die mitunter karg entlohnt werden, wieder an die Sozialdemokraten binden. Dieses Vorhaben wurde bislang trotz der Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro in der Stunde und der abschlagsfreien Rente mit 63 Jahren für langjährig Versicherte in der Großen Koalition nicht sonderlich erfolgreich umgesetzt. Vielmehr hat die SPD bei zwei von drei Landtagswahlen im März in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg heftige Niederlagen erlitten. In bundesweiten Umfragen erhält die Partei nur noch zwischen 19,5 und 22 Prozent der Stimmen.

Ein Grund für die geringe Beliebtheit der SPD ist, dass immer mehr Menschen die Auswirkungen der einstigen rot-grünen neoliberalen Reformpolitik zu spüren bekommen, wenn sie älter werden. Der WDR hatte vor wenigen Tagen berichtet, dass fast jedem zweiten Bundesbürger, der ab 2030 in Rente geht, eine Altersversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung unterhalb der Armutsgrenze droht. Die damalige Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte beschlossen, dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2030 auf 43 Prozent des Durchschnittslohns sinken wird. Einen Ausgleich sollte die private Riester-Rente bieten. Dieses System muss aber mittlerweile insgesamt als gescheitert angesehen werden.

Der parteiintern unter Druck geratene Sigmar Gabriel hat die einstige Rentenreform inzwischen zumindest teilweise infrage gestellt. Er kündigte an, dass ein weiteres Absinken des Rentenniveaus von derzeit etwa 47 Prozent verhindert werden müsse. Notwendig sei deswegen eine »gerechte Anpassung der Rentenformel«, sagte Gabriel, ohne konkreter zu werden. Wenn die Union hierbei nicht mitmachen wolle, werde die SPD mit den Themen Rente und Altersarmut in den Bundestagswahlkampf 2017 ziehen. Für Gabriel hat das auch taktische Vorteile. Nach vielen inhaltlichen Auseinandersetzungen nähert er sich bei diesen Themen den Parteilinken wieder etwas an.

Der Vorstoß von Gabriel geht Vertretern des linken SPD-Flügels allerdings nicht weit genug. Sie wollen eine Stabilisierung des Rentenniveaus bei über 50 Prozent. Entsprechend äußerte sich zuletzt die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis. Sie sprach sich dafür aus, dass »die gesetzliche Rente wieder sicher« gemacht werden solle. »Private Vorsorgemodelle haben nicht das gehalten, was versprochen wurde und stehen vor allem denen nicht zur Verfügung, die sie dringend bräuchten«, erklärte Mattheis. Das zeige sich auch und vor allem bei der Riester-Rente.

Dass die Große Koalition im Rahmen ihrer geplanten Rentenreformen Maßnahmen ergreifen wird, um das Rentenniveau zu erhöhen, gilt aufgrund des Widerstands in der Union als äußerst unwahrscheinlich. Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, forderte zudem konkrete und solide finanzierte Vorschläge der SPD. Ansonsten blieben ihre Äußerungen nichts als leere Versprechungen.

Streit gibt es zwischen einigen Konservativen und der SPD auch über die im Koalitionsvertrag vereinbarte »Lebensleistungsrente«. Bei ihrem Antritt hatte sich die Bundesregierung im Jahr 2013 darauf geeinigt, dass die Rente von Arbeitnehmern aufgestockt werden soll, die 40 Jahre Beiträge eingezahlt, aber weniger als 30 Rentenpunkte angesammelt haben und auf weniger als 900 Euro Rente kommen. Geplant ist, dieses Vorhaben mit Steuergeldern zu finanzieren. Zielgruppen sind Geringverdiener und Menschen, die Angehörige gepflegt oder Kinder erzogen haben. Menschen, die lange arbeitslos waren und deswegen von Altersarmut bedroht sind, wird diese Reform dagegen nicht helfen.

Der Wirtschaftsflügel der Union, der sich traditionell gegen Erhöhungen der Staatsausgaben im sozialen Bereich wendet, will die »Lebensleistungsrente« verhindern. Er klammert sich stattdessen an die private Vorsorge. Nach einem Bericht der »Rheinischen Post« favorisieren der Chef der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU, Carsten Linnemann, sowie seine Mitstreiter als Alternativmodell die Einführung eines Freibetrags von 100 Euro pro Monat und Person bei der Anrechnung der privaten Altersvorsorge auf die Grundsicherung im Alter.

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