Der Vorreiter ist müde geworden

Die Bundesrepublik wird ihr nationales Klimaziel 2020 verfehlen - das stört höchstens noch die Umweltschützer

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch Deutschland verpflichtet sich im Paris-Abkommen zu bestimmten Klimaschutzzielen. Doch wie sollen die erreicht werden?

Um zu wissen, wo Deutschland beim Klimaschutz steht, braucht es nur ein wenig Rechenkunst: 2015 beliefen sich die CO2-Emissionen der Bundesrepublik auf 908 Millionen Tonnen, ein Plus von 0,7 Prozent gegenüber 2014. Verglichen mit dem Ausgangsjahr allen Klimaschutzes - 1990 - kommt immer noch ein stolzes Minus von rund 27 Prozent zusammen. Damit könnte sich Deutschland weltweit feiern lassen, wäre da nicht das verflixte nationale Klimaziel: Bis 2020 sollen die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent sinken - gegenüber 1990, versteht sich.

Die noch fehlenden Prozentpunkte summieren sich umgerechnet auf fast 120 Millionen Tonnen CO2, die 2020 weniger als 2015 ausgestoßen werden müssten. Um diese ziemlich große »Lücke« zu schließen, bleibt nur noch wenig Zeit. 2016 eingeschlossen müssten in jedem Jahr die Emissionen um jeweils rund 30 Millionen Tonnen sinken.

Was hat die Politik da beim Klimaschutz in der Pipeline? Da wäre die Stilllegung von insgesamt 2,7 Gigawatt Braunkohlekraftwerke. Das soll jährlich 10 bis und 12 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Dann soll der Anteil des Ökostroms im Strommarkt von derzeit 33 Prozent auf ... ansteigen - ganz genau weiß man das gegenwärtig noch nicht. Zwar spart jeder Prozentpunkt Ökostrom bis zu vier Millionen Tonnen CO2 ein, die Bundesregierung hat sich aber entschlossen, mit der anstehenden Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes den Ausbau von Solar- und Windstrom nahezu total auszubremsen.

In den anderen Bereichen wie Verkehr, Landwirtschaft und privaten Haushalten muss man schon zufrieden sein, wenn die Emissionen bis 2020 nicht weiter steigen. Selbst eine teure Förderung von Elektroautos brächte nicht viel, weil diese oftmals nur Zweitfahrzeuge sind, die kaum einen Spritfresser ersetzen.

Nach Berechnungen des Bundesverbandes Erneuerbare Energien könnten bis 2020 sogar bis zu acht Prozentpunkte am 40-Prozent-Ziel fehlen, was rund 70 Millionen Tonnen CO2 entspräche. Auch wenn Öko- und Umweltverbände die Lage drastisch beklagen, so hat sich die Politik mit dem Scheitern im Grunde abgefunden. Der einstige Vorreiter beim Klimaschutz ist müde geworden.

Das 2020er Ziel abzuschreiben, ist eigentlich auch nicht tragisch, heißt es entschuldigend aus der Regierung. Die Bundesrepublik habe doch nur noch einen Anteil von 2,3 Prozent an den globalen Treibhausgasemissionen. Über die Zukunft des Weltklimas werde in den USA, in Indien und China entschieden. Auf die Frage, warum Deutschland dann überhaupt noch ambitionierte Klimaziele verfolgen solle, kommt meist als Antwort: Die Bundesrepublik könne der Welt damit beweisen, dass man auch unter konsequentem Klimaschutz ein Industrieland bleiben könne.

Das greift Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dankend auf: So wichtig Klimaschutzziele seien - sie dürften nicht dazu führen, dass wichtige energieintensive Bereiche aus Deutschland abwanderten. Gabriels Staatssekretär Rainer Baake (Grüne) hat entsprechend einigen Großemittenten aus Industrie, Landwirtschaft und Luftverkehr praktisch schon einen klimapolitischen Freibrief bis 2050 ausgestellt.

Weil das 2020er Ziel de facto aufgegeben ist, konzentriert sich die Auseinandersetzung schon jetzt darauf, wie die weitergehenden Klimaziele bis 2050 verwirklicht werden sollen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts sollen die Emissionen um 80 Prozent oder, noch besser, um 95 Prozent sinken. Bis zum Sommer will Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) den entsprechenden Klimaschutzplan vorlegen.

Um solche Ziele zu erreichen, muss zumindest in den Augen von Industrie und Wirtschaft die klimapolitische Büchse der Pandora geöffnet werden: Dann drohe dem Kohlekraftwerk und dem Verbrennungsmotor, wie pathetisch gewarnt wird, der Tod. Tatsächlich muss der laufende Umstieg auf Ökostrom künftig durch eine Wärme-, eine Mobilitäts- und eine Ernährungswende ergänzt werden. Wie diese aussehen, ist noch weitgehend unklar. Die Zeiten eines relativ »sanften« Klimaschutzes dürften sich allerdings dem Ende entgegen neigen.

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