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Das Schwesterblatt

Der »Eulenspiegel« war das Zentralorgan eines jeden DDR-Bürgers. Von Mathias Wedel

  • Mathias Wedel
  • Lesedauer: 6 Min.

Eine Zeitung gilt es zu rühmen, weil: Sie hat ein Jubiläum. Was man über sie sagen kann, ist das Beste, was man überhaupt über eine Zeitung sagen kann: Sie wurde (und wird) geliebt! Sie wurde nicht nur gekauft - man riss sie sich aus den Händen. Ganze Dörfer teilten sich ein Exemplar, am Erstverkaufstag gab es am Kiosk kleine Schlachten, es kam zu bedenklichen Fällen von Bestechung der Briefträger. Frauen boten sich sittenwidrig an, um wenigstens »Zweitleserin« zu werden. Zuweilen wurde im Testament geregelt, wer das Abo behalten darf, es kam zu bitteren Erbstreitigkeiten usw. - nein, sie wurde nicht nur gekauft, sie wurde sogar gelesen! Doch das Schönste: Man hat über sie gelacht!

Die Rede ist, man ahnt es, nicht vom »Neuen Deutschland«. Obwohl, über das »ND« hat man auch gelacht. Einige sagen, im »ND« habe man den Witz zwischen den Zeilen finden können. Das ist nicht präzise: Witz ist immer zwischen den Zeilen zu finden (denn eine Pointe, die ausgesprochen wird, wie heute durch die Bank von den sogenannten Comedians, ist nur ein Idiotenscherz). Sagen wir so: Über das »ND« konnte lachen, wer eine gute Portion Humor selber mitbrachte, manchmal auch schwarzen. Und den hatte auch der Parteiarbeiter.

Der ostdeutsche Leser (Frauen immer mit gemeint) ahnt, die oben gerühmte Zeitung ist der »Eulenspiegel« - der Westdeutsche sollte es lernen.

»Eulenspiegel« und »ND« hatten, außer dass sie beide je auf spezielle Weise lustig waren, noch eines gemeinsam: Sie gehörten bis vor einem Vierteljahrhundert »der Partei«. Danach allerdings gar nicht mehr. Sie waren keine »Bruderorgane«, sondern Schwesterblätter, Blätterschwestern. Ihr Verhältnis war notgedrungen familiär - die Notlage trat ein bei der gemeinsamen Argu am Donnerstag im »Werk II« (wie in der »Eulenspiegel«-Redaktion das ZK-Gebäude, aber auch eine verlagsnahe Kneipe konspirativ genannt wurde). Symbiotisch war ihr Verhältnis jedoch nicht, eher schmarotzend: Die »Eule« schmarotzte ungeniert am »ND«: Sie war der Floh im Fell des Affen, saugte aus ihm die Funktionärs- und Apparatschik-Sprache, die Verdruckstheiten und die Gedankenknoten, ohne die Satire sich nicht ernähren kann. Noch im Jahr 2000 stellte der »Eulenspiegel« eine dicke Parodie auf das »ND« her, die sich millionenfach verkaufte und immer noch verkauft.

Aber das ist nicht die einzige Schmarotzerei, der sich der »Eulenspiegel« gegenüber dem »ND« zeihen muss. Zugleich stahl er dem »ND« seine Rolle als Zentralorgan, und das kam so: Am 18. Juni 1953, einem Donnerstag, hockte das Politbüro noch immer im Hauptquartier der Sowjetischen Militäradministration in Berlin-Karlshorst. In der Stolowaja gab es zu Ehren der deutschen Genossen einmal nicht Borschtsch, sondern verlorene Eier. Walter Ulbricht hatte furchtbar schlechte Laune (keiner weiß heute noch, warum). Jemand sagte, jetzt müsse endlich in der Pressearbeit ein frischer Wind wehen, woraufhin jemand verbotswidrig lachte - wahrscheinlich Heinrich Rau, es war nämlich ein raues Lachen. Denn den »Frischen Wind« - so hieß das Witzblatt nach dem die ostdeutschen Werktätigen lechzten - gab es ja bereits seit 1946. Da sagte jemand (Wilhelm Pieck war’s nicht, denn der war in der Sowjetunion zur Kur): Da machen wir doch das Ding zum Zentralorgan, das wird den Spaß der Massen am sozialistischen Aufbau wieder heben. Aber wisst ihr was, wir sagen es den Werktätigen nicht, sonst ist es ja keine Überraschung mehr. Und vor allem: Wir sagen es nicht den Genossen im »ND«!

Dem Genossen Walter Heynowski, der den »Frischen Wind« leitete (später traf er mit Gerhard Scheumann die Buchela, die den Bonner Ultras weissagte, und Kongo-Müller, den »lachenden Mann«), hat man es auch nicht gesagt. Er war noch nicht einmal Mitte Zwanzig und wäre an der Verantwortung vielleicht zerbrochen, noch bevor man ihn rausschmeißen konnte - angeblich saß er zu oft in der Pressebar.

Und so kam es: Das »ND« wurde das Kampf- und Leitmedium, mit dem man die westdeutschen Junker, Kriegstreiber und Schlotbarone, die Adenauers und Globkes das Fürchten lehren wollte. Und der »Frische Wind«, ab 1. Mai 1954 »Eulenspiegel«, wurde das Zentralorgan eines jeden DDR-Bürgers, sofern er nicht zum Lachen in den Keller ging.

Zuerst beneideten die Autoren und Redakteure vom »Eulenspiegel« ihre Kollegen beim »ND« ein wenig. Die »Eulen« mussten ihre Witze selber machen, das »ND« bekam sie von ADN. Im »Eulenspiegel« musste man sich tagelang auf dem Flur mit aufreibenden Tischtenniswettkämpfen wach halten, während die ND-Redakteure genussvoll in Plenums-Reden schmökern durften. Und das »ND« bekam viel mehr direkte Zuwendung von Walter Ulbricht und danach Erich Honecker. Ja, die beiden schrieben sogar die wichtigsten Texte selber und hielten ihre Antlitze hin für die Bilder vom Messerundgang - und die Redakteure und Reporter bekamen das fette Gehalt.

Aber beim »Eulenspiegel« zu sein hatte auch seinen Reiz. Zeichner (wie Luis Rauwolf, Harri Parschau, Heinz Behling, Manfred Bofinger) und Autoren (wie Renate Holland-Moritz, C.U. Wiesner, Manne Strahl, Hansgeorg Stengel, Ernst Röhl) waren bekannter als die Mitglieder des Politbüros. Man traute ihnen jede Frechheit zu. Dafür bekamen sie Mortadella über den Tresen geschoben oder Badewannen aufgedrängt. Kürzlich erzählte Gerd Nagel, bis 1990 Chefredakteur, von dem Versuch eines Textilbetriebes, die Redaktion mit Bettwäsche zu korrumpieren (natürlich fehlgeschlagen, denn in der Redaktion gab es keine Betten).

Vor allem stieg der Ruhm des »Eulenspiegel« ins Unermessliche. »Bofi« brauchte nur eine Bockwurst mit vier Zipfeln zu malen (höherer Gebrauchswert, doppelter Preis) und die Partei brauchte nur die die halbe Auflage schreddern zu lassen - schon war man in aller Munde, wie heute nur der Böhmermann. Klar, dass mancher ND-Kollege da schwach wurde. Überliefert ist, dass Günter Schabowski einmal gebrüllt haben soll, er verbitte sich die ständigen Andeutungen gefrusteter Redakteure, zum »Eulenspiegel« desertieren zu wollen. Tatsächlich hat das in all den Jahren nur einer geschafft; er wurde beim »Eulenspiegel« milde aufgenommen und ist heute einer seiner Herausgeber.

Nach der großen Tortenschlacht von 1989 waren unsere bilateralen Beziehungen etwas gespannt. Beide hatten wir uns der Treuhand und anderen Scharfrichtern aus der Schlinge gewunden. Doch zu viele der »Eulenspiegel«-Leser zogen plötzlich den umfangreichen Humor-Teil im »ND« vor, mit Rubriken wie »Heute schon entschuldigt?«, »Verzeiht mir!«, »Wir sind alles kleine Sünderlein« oder »Schütti gesteht«.

Im »Eulenspiegel« hat man diese Phase übersprungen - es gab so viel Komisches an den Bürgerrechtlern, an den politisierenden Pfarrern und bei der Ost-SPD - beliebt unsere Rubrik »Lachen mit Thierse«! - und die Landschaften fingen auch an zu blühen ... Heute schreiben uns manchmal die Leser »Früher wart ihr im Widerstand - und heute?« Soll man da widersprechen?

Das »neue deutschland«, unser Schwesterchen, hat es immer noch schwer. Bei uns ist die ideologische Basis simpel, glasklar und unerschütterlich und reicht wahrscheinlich noch ins nächste Jahrtausend: Wir sind gegen jede Regierung. Jede Regierung muss weg - es sei denn, sie arbeitet auf 450-Euro-Basis und veröffentlicht ihre Gesetze in der Obdachlosenzeitung.

Mathias Wedel, Jahrgang 1953, ist Chefredakteur des »Eulenspiegel« und war jahrzehntelang nd-Kolumnist.

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