Die Furcht vor der grünen Pferdeflüsterin

CDU Sachsen-Anhalt stimmt Kenia-Vertrag zu, aber fremdelt mit einem Koalitionspartner

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Unter Palmen machte sich die CDU von Sachsen-Anhalt auf den Weg nach Kenia: Zwei der tropischen Bäume säumten im Magdeburger AMO-Kulturhaus die Bühne des Parteitags, auf dem die Partei am Freitag über den Vertrag für die bundesweit erste schwarz-rot-grüne Koalition beriet. Die Kübelpflanzen hätten ein Flair von Strand und Sonne verströmen können. Die Partei wirkte freilich eher wie Trupp Bergsteiger, der einen mächtigen Pass hinauf schnauft – und nicht weiß, ob er dazu überhaupt Lust verspürt, weil man einen in der Seilschaft überhaupt nicht riechen kann.

Es sind die Grünen, mit denen die CDU durch das Wahlergebnis vom 13. März in eine Koalition faktisch gezwungen ist. Nach dem dramatischen Absturz der SPD hat die seit 2006 amtierende schwarz-rote Koalition keine Mehrheit mehr; andere Bündnisse sind in dem Landtag, in dem die AfD ein Viertel der Abgeordneten stellt, faktisch nicht denkbar. Also nahm man die Grünen mit ins Boot – um eine stabile »Regierung der Mitte« bilden zu können, wie der designierte Regierungschef Reiner Haseloff beim Parteitag sagte.

Doch auch wenn sich die drei Parteien am Dienstag auf einen Koalitionsvertrag geeinigt haben: Vielen in der CDU passt die Richtung nicht. Der Umstand, dass die Ökopartei das Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft zugesprochen erhielt, war dabei nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen zu bringe drohte. Die Partei »enttäuscht den ländlichen Raum«, sagt Kees de Vries, der im Bundestag sitzt und im Anhaltischen einen Milchviehbetrieb führt. Man opfere »die treuesten Unterstützer als Verhandlungsmasse«, sagt Kurt Henning Klammroth, Chef eines Bauernverbands. Ein Magdeburger Delegierter betonte fast trotzig, nicht die Grünen, sondern die CDU sei die Partei des ländlichen Raums: »Die Bauernpartei ist 1990 schließlich zu uns gekommen!«

Doch es geht um mehr als einen Posten; es geht um ein tief sitzendes Unbehagen mit einer Partei, die man bisher auf der anderen Seite der Barrikade wähnte. Thomas Leimbach aus dem Salzland sprach von »rot-grüner Prosa«, die den Vertrag präge und einen Geist atme, der »nicht meiner ist«. Andere kleideten ihr Unbehagen in schlechte Witze. Der Bitterfelder Landrat Uwe Schulze sagte über die designierte Agrarministerin Claudia Dalbert, die promovierte Psychologin müsse zeigen, wie »das Sprechen mit Pferden und Getreide« klappe. Landeschef Thomas Webel meinte mit Blick auf ein Pflaster auf seinem Kopf der Vermutung entgegen treten zu müssen, die Grünen hätten ihn »skalpieren« wollen.

Auch bei den Inhalten hob Webel angesichts des spürbaren Grolls eher die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten hervor: Die CDU habe sich »mehrheitlich durchgesetzt«, etwa in Schulfragen oder beim Verkehr: »Wer hätte gedacht, dass die Grünen einmal die Hand zum Saalekanal heben?!« Ein Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände werde es nicht geben. Die von der CDU propagierte Obergrenze bei der Integration von Flüchtlingen stehe im Vertrag: »Multikulti ist nicht mehr; es lebe die Leitkultur!«, sagte Webel wörtlich. Die Abtretung des Agrarministeriums nannte der CDU-Landeschef eine »einmalige Episode«; bei der Wahl 2021 würden die Karten neu gemischt.

Doch auch wenn derlei Äußerungen die Dreierkoalition als ungeliebten Notnagel erscheinen ließen: Die Alternativen bestehen in einem wie auch immer gearteten Pakt mit der AfD – oder Neuwahlen. Vor ersterem warnte Leimbach: Die Rechtspopulisten verträten »entsetzliche Thesen«; wer mit ihr liebäugele, sei ein »Brandstifter«. Bei Neuwahlen wiederum würde ebenfalls die AfD profitieren, sagte Haseloff. Wie ernst er die Lage einschätzte, zeigt der Umstand, dass er sich beim Umwerben der Delegierten auf Autoritäten wie CSU-Chef Horst Seehofer sowie Kanzlerin Angela Merkel berief; letztere habe die »staatspolitische Verantwortung« des Parteitags angemahnt. Haseloff selbst warnte davor, dass »das Land unregierbar wird«.

Die pathetischen Appelle fruchteten. Schulze sagte, er stimme »mit Bauchschmerzen« zu, Leimbach meinte, seine Zustimmung sei »ein Ja auf Bewährung«. Ähnlich mögen viele Delegierte gedacht haben: Am Ende sprach sich der Parteitag mit 83,6 Prozent überraschend klar für den Vertrag aus. Das ist ein deutliches, aber kein beruhigendes Votum. Wenn am Montag im Landtag Haseloffs Wahl zum Ministerpräsidenten ansteht, reichen drei Abweichler, um Kenia in ernste Probleme zu bringen. Montag sei »der Tag der Wahrheit«, sagte Haseloff denn auch. Gehe die Wahl schief, fügte er hinzu, »dann sind wir weg«.

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