Grün-Schwarz schweigt zu Sparplänen

Parteispitzen stellen in Stuttgart ihren Koalitionsvertrag vor. Die Ministerposten werden gleichmäßig aufgeteilt

  • Gesa von Leesen, Stuttgart
  • Lesedauer: 4 Min.
Beide Partner mussten im grünschwarzen Koalitionsvertrag Abstriche machen. Die Grünen können mit Energie und Bildung zufrieden sein, die CDU wird sich auf die Innenpolitik konzentrieren.

Als Präsentationsort für ihr Papier mit dem Motto »Verlässlich. Nachhaltig. Innovativ.« hatten sich die Koalitionäre einen sehr kleinen Raum im »start up campus« im Stuttgarter Osten ausgesucht. Für Regierungschef Winfried Kretschmann »ein Labor für Kreativität und Innovation« und damit »ein guter Ort für eine noch nicht da gewesene Koalition«. Bei der Landtagswahl im März waren seine Grünen mit 30 Prozent stärkste Fraktion geworden. Die CDU landete mit 27 Prozent auf Platz zwei. Damit war die vorherige grün-rote Koalition perdu.

»Wir haben dieses Bündnis nicht angestrebt«, sagte Kretschmann. Aber der Wähler habe nun mal anders entschieden. »Und wir können ja nicht so lange wählen lassen, bis es uns gefällt.« Die Verhandlungen seien »hart und lang« gewesen, das Vertrauen sei aber gewachsen. Kretschmann betonte, man habe »mehr als den kleinsten gemeinsamen Nenner« gefunden und wolle nun mit dem neuen Regierungspartner gemeinsam das Land an der Spitze in Deutschland und Europa halten. Sein künftiger Vize Thomas Strobl, bislang Unionsfraktionsvize im Bundestag, unterstrich mehrfach, dass »zwei fast gleichstarke Partner« miteinander gerungen hätten.

Also wurden die Ministerposten gleichmäßig aufgeteilt, fünf für jede Partei. Die Grünen behalten Wissenschaft und Kunst, Umwelt und Naturschutz sowie Verkehr. Neu für sie werden Soziales mit Integration und das Finanzministerium. Letzteres hat einige Symbolkraft. Die Koalitionäre haben sich darauf geeinigt, die Schuldenbremse in die Landesverfassung aufzunehmen. Bis 2020 sollen dafür jährlich 1,8 Millionen Euro eingespart werden. Wie, wollten weder Kretschmann noch Strobl genau erläutern. Durchgesickert ist, dass man an die tariflichen Gehaltserhöhungen und die Pensionen der Beamten ran will. Dass es da Ärger geben wird, weiß Kretschmann: »Sparen kann nicht allen gefallen. Das ist ja klar.«

Die CDU bekommt das Innenministerium inklusive Digitalisierung, das Kultusministerium, die Landwirtschaft, Wirtschaft mit Arbeit und Wohnungsbau sowie Justiz mit Verbraucherschutz. Wer welches Ressort übernimmt, wollten die Verhandlungschefs noch nicht verraten. »Spätestens nach meiner Wahl zum Ministerpräsidenten«, sagte Kretschmann. Die ist am 12. Mai. »Vielleicht aber auch früher.« Wahrscheinlich ist, dass Strobl Innenminister wird.

Und der Inhalt des Koalitionsvertrages? Die Polizei soll 1500 zusätzliche Stellen sowie 100 Millionen Euro für bessere technische Ausrüstung bekommen. Das war eine zentrale CDU-Forderung. Unter »innere Sicherheit« findet sich auch die Abschaffung des von Grün-Rot eingeführten nächtlichen Alkoholverkaufsverbots. Die Kommunen können nun selbst Alkoholverbote für bestimmte Plätze verhängen. Eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten wird es nicht geben.

500 Millionen Euro sollen in Straßen, Schiene, Hochbau und Hochschulen fließen, so Strobl. Der soziale Wohnungsbau wird im Vertrag als besonders förderungswürdig beschrieben. Für die Digitalisierung sind 325 Millionen Euro vorgesehen. Beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 bleibt es bei der Kostenbremse. Das Land wird also nicht mehr als die vertraglich vereinbarten 930,6 Millionen Euro zuschießen.

Ein Knackpunkt im Wahlkampf war die Schulpolitik. Entgegen CDU-Wahlkampfaussagen wird es weitere neue Gemeinschaftsschulen und dort eine gymnasiale Oberstufe geben. Dafür bekommen die Realschulen mehr Geld. Die CDU-Forderungen nach einem Landeserziehungsgeld und nach einem kostenlosen letzten Kindergartenjahr finden sich nicht im Vertrag. Stattdessen wird ein Kinderbildungspass eingeführt: 70 Euro im Monat bekommen Familien, die ihr Kind ins letzte Kindergartenjahr vor der Grundschule schicken. Das findet Strobl »fast noch besser als das, was wir im Wahlprogramm hatten«.

In puncto Förderung alternativer Energien ändert sich nicht viel. Windräder - für die CDU nichts Gutes - werden weiter gebaut. Mittels einer Solaroffensive soll auf 50 000 Dächern Solarenergie realisiert werden. Beim Thema Soziales und Arbeit wird es etwas dünn. Der jährliche Armuts- und Reichtumsbericht wird beibehalten. Man will viel unterstützen: eine moderne Arbeitswelt, Qualifizierung von Flüchtlingen, ältere Arbeitnehmer und bürgerschaftliches Engagement.

Überraschend ist die Festlegung im Vertrag, das Landeswahlrecht zu reformieren. Bislang hat der Wähler im Südwesten nur eine Stimme bei der Landtagswahl. Listen gibt es nicht. Sichere Wahlkreise blieben so jahrzehntelang in den Händen von männlichen Platzhirschen, der Frauenanteil im Landtag ist mit 24,5 Prozent der niedrigste in der Republik.

Der Koalitionsvertrag muss auf Parteitagen am Freitag und Samstag noch beschlossen werden. Mit Ablehnung ist nicht zu rechnen.

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