Erfolg auf Umwegen
Im Konzerthaus stellten die Geigerin Franziska Pietsch und ihr Klavierpartner Detlev Eisinger ihre CD mit Werken Prokofjews vor
In der DDR galt sie als große Hoffnung. Franziska Pietsch, die in einer Ost-Berliner Musikerfamilie aufwuchs, erhielt mit vier Jahren den ersten Geigenunterricht. Bald folgte der Eintritt in die staatliche Förder-Routine: der Besuch der Musik-Spezialschule und, als Jungstudentin, der Musikhochschule »Hanns Eisler«. Mit elf Jahren debütierte das Mädchen an der Komischen Oper; es wurde von renommierten DDR-Orchestern begleitet und siegte beim Leipziger Bach-Schülerwettbewerb. 1983 jedoch endete die intensive Förderung abrupt: Der Vater, selbst Geiger, war von einer Österreich-Tournee nicht wieder heimgekehrt. »Ich musste meine Ausbildung abbrechen. Mein Geigenlehrer, dem ich grenzenlos vertraute, wurde über Nacht zum Feind«, erinnert sich Franziska Pietsch, die damals 13 Jahre zählte. »Wir wurden bespitzelt; meine Mutter verlor ihre Anstellung im Orchester.«
Ein harter Einschnitt in einer prägenden Altersphase. »Diese Ereignisse haben mein Musikverständnis intensiv beeinflusst«, meint die Geigerin heute. »Meine Spieltechnik war weitgehend ausgebildet, so dass ich dann für mich selbst übte und dabei an meiner inneren Stimme orientierte.«
Es folgten drei schwierige Jahre in der DDR. 1986 konnte die 16-Jährige mit ihrer Mutter und der jüngeren Schwester nach Westdeutschland ausreisen. An der Musikhochschule Karlsruhe fand Franziska Pietsch einen neuen Lehrer. Später wurde sie Konzertmeisterin bei den Sinfonikern von Wuppertal und bei der Philharmonie Luxemburg. Am liebsten widmet sich Franziska Pietsch, die heute in Köln lebt, der Kammermusik. Zum Beispiel im Trio Testore, das die Musikwelt mit einer Einspielung der Brahms-Klaviertrios erfreut hat. Oder aber zusammen mit ihrem Klavierpartner Detlev Eisinger. Nach einer erfolgreichen Platte mit Grieg-Sonaten veröffentlichen die beiden nun ihr zweites gemeinsames Album mit den Violinsonaten von Sergej Prokofjew. »Bei diesem Komponisten spüre ich deutlich meine ostdeutsche Herkunft«, erzählt Franziska Pietsch. »Ich habe einen ganz natürlichen, intuitiven Zugang zu seiner Musik.«
Die beiden Sonaten, die Prokofjew in den frühen Vierzigern nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion schrieb, könnten gegensätzlicher nicht ausfallen: Tragisch und expressiv die eine, klar, heiter, in neoklassischer Manier die Zweite, die Franziska Pietsch und Detlev Eisinger während ihrer CD-Präsentation am Sonntag am Gendarmenmarkt aufführten.
Die Geigerin geht die Musik forsch und entschlossen an; mit dunkel-erdigem Tonfall, harschen Akzenten und rhythmischem Drive. Die sichere Spieltechnik erlaubt ihr halsbrecherische Virtuosität und ein großes Ausdrucksspektrum. Pietsch ist im »dramatischen Fach« zu Hause, was sich nicht zuletzt in ihrem feuerroten Kleid kundtut. Laserscharf strahlen die Kantilenen, die von scharfzackigen Akzenten unterbrochen werden. Im Forte baut die Geigerin den Klang derart monumental auf, dass der Kammermusiksaal des Konzerthauses akustisch an seine Grenzen gerät.
Das Zusammenspiel mit Detlev Eisinger ist innig und vollkommen gleichberechtigt. Dabei ist der gelassene, zuweilen verschmitzt wirkende Pianist ein gänzlich anderer Künstlertyp als die quirlige Geigerin. »Wir sind durchaus mal verschiedener Meinung über eine Interpretation«, meint Eisinger. »Aber irgendwie raufen wir uns immer zusammen.«
Im »lyrischen Fach« überzeugte Franziska Pietsch nicht so ganz. Zu viel Drama packte sie in die schlichte A-Dur-Sonate von Franz Schubert. Die expressive Prokofjew-Sonate ist jedoch ein Paradestück für das Temperamentbündel an der Geige. Ebenso wie die nach der Pause dargebotene dritte Violinsonate von Edvard Grieg, deren Pathos die Geigerin auskostete. Da hatte man wirklich den Eindruck, dass ihr dramatisch hochgespanntes Spiel die Facetten ihrer Biografie widerspiegelt.
Der DDR entkommen, wollte sich Franziska Pietsch nie wieder künstlerisch vereinnahmen lassen. Sogar einen Vertrag mit einer großen Agentur hat sie abgelehnt, weil sie sich mit den Bedingungen nicht wohlfühlte. »Das Gute an meiner frühen Ausbildung im Osten war jedoch, dass man hier auf die Individualität des Schülers einging, und dass man auf das disziplinierte Üben achtete«, resümiert die Geigerin, deren Berufsleben zwar verschlungene, aber stets selbstbestimmte Wege nahm.
Franziska Pietsch, Detlev Eisinger: Prokofjew - Werke für Violine und Klavier (audite) www.franziskapietsch.de
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