Mit Spezialtrainings länger mobil

Ältere Verkehrsteilnehmer verursachen nicht mehr Unfälle als jüngere

  • Julia Giertz
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Auto ist gerade für ältere Menschen der Garant für Mobilität. Doch sobald schwere Verkehrsunfälle mit Senioren bekannt werden, stellen viele die Frage: Müssen 80-Jährige noch am Lenkrad sitzen?

Ein 84-Jähriger rast mit seinem Auto in eine Menschenmenge, ein 72-Jähriger verwechselt Gas und Bremse und verursacht einen Unfall. Die Unfälle von Bad Säckingen und Müllheim werfen die Frage auf: Sind Senioren im Straßenverkehr eine besondere Gefahr? Fahren sie schlechter als junge?

Nein, sagen Experten. »Nur steigt die Zahl der älteren Menschen, dadurch steigt auch die Zahl der Unfälle, in die Senioren verwickelt sind«, sagt der verkehrspolitische Sprecher des Auto Club Europa (ACE) Matthias Knobloch. Bei jungen Menschen bestehe das Risiko, dass sie sich überschätzten, bei älteren Menschen trete die Unsicherheit in den Vordergrund. Nach Angaben des Innenministeriums sind die Senioren nicht überproportional an Unfällen beteiligt. Auch der Chef des Landesseniorenrates, Roland Sing, sagt: »Das sind Einzelschicksale, wenn so etwas passiert.«

Was aber sind die Ursachen für Unfälle von Senioren? Knobloch spricht von Konzentrationsschwächen und Medikamenten. Oft fehle die Aufklärung über die Nebenwirkungen von Arzneien, die das Autofahren erschweren. Da seien die Ärzte gefragt. »Aber nicht nur die Mediziner müssen beraten, sondern auch die älteren Leute selbst müssen akzeptieren, dass sie irgendwann nicht mehr alles können.«

Man könnte den Schwierigkeiten älterer Leute allerdings begegnen, indem man das Thema offensiver behandelt, meint Seniorenverbandschef Sing. Nach seiner Ansicht müsse mehr über die Möglichkeiten moderner Fahrerassistenzsysteme wie den Totwinkelwarner informiert werden. »Oft werden die Autos innerhalb von einer halben Stunde übergeben und die Menschen wissen gar nicht, was das eigene Fahrzeug alles kann.« Für den ACE-Experten Knobloch ist eine sicherere Verkehrsplanung das A und O. Kreuzungen in Ortschaften könnten übersichtlicher gestaltet werden. Und: »Manche Autobahnauffahrten sind so angelegt, dass auch Junge Probleme haben, nicht als Geisterfahrer zu enden.« Der ACE schlägt auch vor, den geplanten Austausch der Führerscheine alle fünfzehn Jahre wenigstens mit einem verpflichtenden Sehtest zu verbinden. Ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums sagt: »Es gibt es keine Überlegungen für Pflichttests für Senioren.«

Die Frage, ob es ab einem bestimmten Alter Tauglichkeitstests für den Besitz des Führerscheins geben sollte, ist nicht einfach zu beantworten. Für Sing wäre das eine ganz und gar unakzeptable Altersdiskriminierung. »Wenn man so etwas einführt, dann für alle«, meint er. »Es gibt 85-Jährige, die Höchstleistungen bringen« - und 40-Jährige, bei denen das ganz anders sei. Man habe allerdings als Angehöriger eine »Lebensverantwortung«, ältere Verwandte notfalls davon zu überzeugen, dass sie sich in ihrem eigenen Interesse und in dem der anderen Verkehrsteilnehmer vom Steuer fernhalten sollen.

Ältere Menschen hängen so am Führerschein, weil das Auto für sie ein Mittel der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist - das gilt insbesondere in ländlichen Gebieten. Mit dem Fahrzeug kommen sie zum Einkaufen, zum Arzt, zu Familienangehörigen, Freunden oder zu kulturellen Veranstaltungen. »Kein Wunder, dass sich alte Menschen so an den Führerschein klammern«, meint Sing. Der frühere Landeschef der AOK fügt hinzu: »Menschen, die von diesen Dingen isoliert sind, werden krank.«

Welche Alternativen haben Senioren zum Auto? Vielerorts fehlt es an Bussen und Bahnen, die regelmäßig von frühmorgens bis spätabends fahren. Knobloch weist darauf hin, dass ein älterer Fahrer vielleicht noch den Weg ins nächste Dorf schaffe, aber nicht mehr in die Großstadt, die man mit dem öffentlichen Verkehr erreichen können müsse. Auch die Mobilität im Alter müsse stärker thematisiert werden. Tarifstruktur und Ticketautomaten seien oft kompliziert, zuweilen scheiterten Senioren schon an zu kleiner Beschriftung. Manchmal helfen nach Knoblochs Worten aber auch ein paar Stunden Coaching mit einem Fahrlehrer, der Veränderungen in der Straßenverkehrsordnung erläutert.

Das baden-württembergische Verkehrsministerium versucht es mit speziellen Angebote für Senioren? Im Südwesten setzt man statt auf verpflichtende Schritte auf die Überzeugung der älteren Verkehrsteilnehmer und auf Fahrsicherheitstrainings. So hat man hier im Land die Öffentlichkeitskampagne »länger mobil« initiiert, die mit Faltblättern, Anzeigen und Radiospots auf Kurse etwa beim ACE und beim ADAC hinweist. dpa/nd

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