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Mit links gespielt
Linkshänder finden heute leichter passende Musikinstrumente und auch in Orchestern einen Platz
Wenn der Pianist Géza Losó an seine Einschulung denkt, wird er immer noch wütend. »Ich Idiot!«, beschimpft er sich und fügt sofort »Entschuldigung« hinzu.
Was war damals passiert? »Ich habe schon richtig mit links schreiben und malen können. Das hatte mir meine Schwester beigebracht«, erzählt der 74-Jährige. Da in der Schule aber lauter Rechtshänder um ihn herum saßen, orientierte er sich an ihnen und wechselte auf rechts. »Das darf man nicht, das war mein größter Fehler!« Dabei denkt er nicht nur an den Alltag, sondern auch an das Klavierspielen.
Aber spielt es am Klavier eine Rolle, ob man Linkshänder ist? »Die Melodieführung ist sehr wichtig beim Klavierspiel«, erklärt Losó. Da die Melodie meist in den höheren Lagen liegt, übernimmt üblicherweise die rechte Hand die Führung. Das kann ein entscheidender Nachteil sein, wenn die linke Hand reaktionsschneller und geschickter ist als die rechte.
Auch Losó merkte als Musikstudent, dass irgendetwas nicht optimal lief. »Mein Vater hat mir gesagt: Du hast eine komische Gestaltung, wenn du spielst. Du hast eine super Technik, aber kein Gefühl.« Testhalber baute Losó auf einem Brett die Klaviatur gespiegelt herum auf, als wären links die höheren Töne. Darauf spielte er »trocken« ein Mozart-Stück, stellte sich den Klang vor und hatte eine Art Erweckungserlebnis: »Ich hatte noch nie ein so gutes Gefühl beim Musizieren.«
Bis er seinen Traum vom Linkshänder-Klavier verwirklichen konnte, dauerte es aber Jahrzehnte. Anfragen bei Klavierbauern verliefen im Sande, bis sich die Pianofabrik Blüthner aus Leipzig auf die Konstruktion einließ. Die Firma, in deren Besitzerfamilie es mehrere Linkshänder gibt, baute 2001 den Konzertflügel, der heute in Losós Haus in Trier steht. Inzwischen gibt es auch Linkshänder-Klaviere sowie E-Pianos, die sich per Knopfdruck auf das Linkshänder-System umstellen lassen.
Auch körperliche Probleme, etwa eine Verletzung, können Musiker dazu zwingen, ein Instrument andersherum zu spielen.
So wie Messer, Scheren und Dosenöffner im Alltag sind auch Musikinstrumente in der Regel für Rechtshänder konzipiert, etwa bei Streichern: Zwar erfordert das Greifen mit der Linken Fingerfertigkeit, doch ist für Melodie und Rhythmus die Rechte entscheidend, die den Bogen über die Saiten streicht. »Die eine Hand erzeugt den Klang, während die andere die Töne quasi vorbereitet«, sagt Christine Vogel, Vorsitzende des Vereins Linksgespielt in Frankfurt am Main.
Weniger offensichtlich sind die Unterschiede bei Holzblasinstrumenten. »Aber auch hier ist es vom Körpergefühl für viele Linkshänder viel stimmiger, wenn sie ihre starke Hand unten halten können«, sagt die Musikerin. »Bei der Klarinette zum Beispiel trägt ja die untere Hand das Gewicht des Instruments und stabilisiert es. Daher hat die Händigkeit bei vielen Leuten Auswirkungen auf die gesamte Körperausrichtung, die Atmung und auch darauf, wie die Töne kommen.« Manche linksbegabte Klarinettisten spielen deshalb auf Sonderanfertigungen.
Überhaupt gibt es inzwischen viele Instrumente in Linkshänder-Versionen, angefangen von Geigen und Celli über Gitarren bis hin zu Querflöten. »Die wenigsten Musikinstrumente sind völlig symmetrisch aufgebaut«, erklärt Vogel. »Bei einer Gitarre zum Beispiel kann man zwar die Saiten andersherum aufziehen, doch das Innenleben ist trotzdem nicht ganz symmetrisch.« Dennoch gibt es Linkshänder-Gitarristen, denen es reicht, ein »normales« Instrument einfach umzudrehen und neu zu besaiten – berühmtes Beispiel ist Jimi Hendrix.
Einfach haben es dagegen Posaunisten: Hat ihr Instrument keine Ventile, müssen sie es nur anders herum zusammensetzen, um den Zug mit der linken Hand bedienen zu können. Ein anderes Blechblasinstrument – das Waldhorn – gilt sogar als ideales Linkshänder-Instrument, da die Ventile mit links gedrückt werden, während die rechte im Schalltrichter ruht. Auch das Schlagzeug bereitet normalerweise wenig Probleme: Um ein Linkshänder-Set zu kreieren, baut man es einfach spiegelverkehrt auf.
Wie Instrumente zu halten sind, ist keineswegs so eindeutig wie angenommen. Aus historischen Quellen weiß man, dass Flöten bis in den Barock hinein oft auch nach links gespielt wurden. »Diese Spielrichtung nach rechts, die wir heute haben, scheint sich bei den Holzblasinstrumenten im Verlauf des 17. Jahrhunderts weitgehend durchgesetzt zu haben«, berichtet Vogel. Warum also die Richtung nicht wieder ändern?
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Konventionen infrage zu stellen, ist auch erklärtes Ziel des Vereins Linksgespielt, der vor zwei Jahren gegründet wurde. Darin haben sich Menschen zusammengeschlossen, die sich für »linkes« Musizieren einsetzen. Nicht immer geht es um angeborene Linkshändigkeit; auch körperliche Probleme, etwa eine Verletzung, können Musiker dazu zwingen, ein Instrument andersherum zu spielen. So war auch bei Vogel eine Bewegungseinschränkung der Grund, auf links zu wechseln: Sie hatte ganz konventionell Cellospielen gelernt. Als sie sich im Musikstudium auf Viola da Gamba konzentrierte, stellte es sich als Problem heraus, dass sie die rechte Hand nicht drehen konnte. Mit großem Aufwand lernte sie um und ist heute konsequente Links-Spielerin.
Wer schon als Kind auf einem Linkshänder-Instrument spielt oder früh umlernt, tut sich leichter. Der Verein möchte auch Eltern und Lehrer dazu ermutigen, Kinder links spielen zu lassen. Deshalb kämpft er gegen Behauptungen an, die er für Vorurteile hält – etwa, dass im Orchester linksspielende Streicher mit den Bögen ihrer Kollegen zusammenstießen. »Alle, die es ausprobiert haben, sagen, dass es kein Problem ist«, sagt Vogel. Ein weiterer Mythos sei, dass Linksspieler partout keine Chance auf eine Orchester-Stelle hätten: Ein paar Profis spielen auch in Ensembles konsequent andersherum. Sogar Dirigenten wie den Franzosen Franck Ollu gibt es, die mit der Linken den Takt vorgeben, worauf sich Musiker einstellen müssen.
Für einige Links-Spieler ist es nicht mit der Anschaffung eines Spezialinstruments getan. Etwa wenn sie merken, dass sie mit den üblichen Noten keine optimalen Ergebnisse erzielen, weil es ihnen leichter fällt, von rechts nach links zu lesen. »Manche in unserer Community stellen deshalb beim Musizieren die Notenhefte auf den Kopf«, berichtet Vogel. Sie beginnen dann, rechts unten zu spielen.
Andere, wie Vogel selbst, lesen ganz konventionell Noten. Und wiederum andere nutzen gespiegelte Noten. So hat Géza Losó eine Notation entwickelt, die den Linkshänder-Klavieren entspricht: Die hohen Töne stehen unten, die tiefen oben, und auch die Notenhälse zeigen spiegelverkehrt in die andere Richtung. »Das ist auch das Allerwichtigste«, findet Losó. Für ihn ist klar: »Links spielen und rechts Noten lesen geht nicht.«
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