Mauerblümchen Müggelsee

Berlins größtes Strandbad soll saniert werden und ein Sonnenplatz für kleine Leute bleiben

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 10 Min.
Das Gewässer im 
Südosten ist fast 
drei Mal so groß wie der Wannsee im 
Südwesten. Obwohl 
die Einrichtung am Müggelsee vor 
zehn Jahren ihren Strandbad-Titel verlor, bleibt sie Berlins 
größtes Freibad.

Endlich. Nach langem Tauziehen sind acht Millionen Euro bewilligt worden, um die Denkmalschutzbauten im Müggelsee-Strandbad Rahnsdorf bis 2019 zu sanieren. Das Ganze danach weiter bei freiem Eintritt. Im letzten Jahrzehnt gab es wiederholt Sanierungsanläufe. Alle scheiterten - an politischer Unlust, bürokratischer Lähmung und Denkmalschutzauflagen, vor allem am Geld. Hartz-IV-Beschäftigte kümmern sich seit Jahren im Schichtbetrieb um das Gelände, halten das Riesenareal am Laufen und 365 Tage im Jahr offen. Zur Freude von Berlinern wie Touristen, die die Oase aufsuchen. Die Sanierung könnte der Hauptstadt mit der erhofften Wiederbelebung des Müggelturms am anderen Ufer und der Sanierung des Spreetunnels in Friedrichshagen alte Ausflugsziele wieder präsentabel machen - vorausgesetzt, BER-Flugrouten belasten das Erholungsgebiet am Müggelsee nicht völlig.

Der See ist Berlins Nummer eins. Das Gewässer im Südosten ist fast drei Mal so groß wie der Wannsee im Südwesten. Flach und im Schnitt knapp fünf Meter tief, ist er im Strandbad mit langem Anlauf ins Tiefe verbunden. Obwohl die Einrichtung vor zehn Jahren ihren Strandbad-Titel verlor, bleibt sie Berlins größtes Freibad. »Umgangssprachlich ist der Name Strandbad bis heute erhalten geblieben, auch wenn es sich nun lediglich um eine Badestelle auf einer Sport-und Erholungsfläche handelt«, so Oliver Igel, Bezirksbürgermeister Treptow-Köpenick. Die bröckelnde Substanz der denkmalgeschützten Bauten von 1929/30 - das Eingangsgebäude, die 160 Meter Terrasse, der von ihr überdachte Wandelgang sowie die Freitreppe zum Strand - macht den Aufenthalt bis auf Weiteres zum Vergnügen mit Reserven. Aufgewogen wird der Mangel mit freiem Eintritt und reizvoller Natur: fast ein Kilometer Strand, breiter Sandgürtel, Liegewiesen im Parkcharakter, FKK und jenseits des Zauns der »wilde« FKK - ein Idyll, das vergessen lässt, noch in Berlin zu sein. Treptow-Köpenick ist der größte aller Stadtbezirke, vor allem der wald- und wasserreichste. Keine andere Metropole in Europa hat so viel Natur im Zugriff. Und keine Gegend Berlins verkörpert sie so wie die um den Müggelsee.

Das Potenzial fällt manchem Berliner schon auf, als Baden in der Spree und anderen Gewässern noch streng verboten ist. Bis 1907 gilt die Polizeiverfügung von 1804, die »Ruten- und Geldstrafen gegen die Unzucht freier Wasserfreuden« anordnet. Erst als im Frühjahr 1907 am Wannsee 200 Meter Ufer freigegeben werden und 1909 das Freibad öffnet, rücken Badehungrige auch am Müggelsee vor. Der Wannseestrand wird als erstes eingezäunt. Theodor Wolff, der Hauptstadtpublizist, nimmt 1908 im »Berliner Tageblatt« die Vorschrift aufs Korn, die kaisertreue Vereinsmitglieder zu schwarz-weiß-roten Badehosen anhält. Das Bad diene »nicht allein dem Vergnügen und der Reinlichkeit, sondern größeren Idealen. Man badete für einen Verein, fürs Vaterland, als Staatsbürger und als Untertan. Und man geht in seiner dreifarbigen Badekleidung so pflichtgetreu ins Wasser wie ein Grenadier ins Feuer.«

Tastend betritt der Betrieb am Müggelsee die Szene. Fischer erlauben Umkleidekabinen. Schneidermeister Karl Kuschfeld errichtet ein Zelt »zum Wechseln der genierlichen« Ganzkörperkostüme. Weitere Zelte kommen dazu, die Kleiderordnung bleibt: »Für Personen männlichen Geschlechts mindestens eine die Oberschenkel zur Hälfte bedeckende, nicht dreieckige Badehose, für Personen weiblichen Geschlechts ein Badeanzug, der Schultern, Brust, Leib und Beine etwa bis zum Kniegelenk bedeckt.« Kuschfeld soll Tageseinnahmen von 25 Goldmark erzielen. Das Geschäft der Fischer, Geld zu angeln, ohne zu fischen, lässt Rahnsdorf und Friedrichshagen ein Freibad beschließen. 1912 wird die »Freibad Müggelsee GmbH« gegründet, am 14. Juli das Bad übergeben. Das Eröffnungsjahr zählt 177 365 Gäste. Doch schon 1920 - dazwischen liegt der Erste Weltkrieg - hat die GmbH Probleme, die Kommune übernimmt. Im September 1928 brennt die Anlage weithin ab.

1929 Neuanfang. Er wird - wie am Wannsee - die Geburtsstunde der heutigen Bauten, vor allem des Konzepts des Neuen Bauens. Deshalb genießen die Bäder Müggelsee und Wannsee seit 1977 bzw. 1983 Denkmalschutz. Unter Leitung von Stadtbaurat Martin Wagner entsteht 1929/30 der Terrassenkomplex, Bauten aus Stahlbeton. Architekt Wagner 1930 in der »Deutschen Bauzeitung«: »Die Sozialanstalten (Strandbäder) sollen denjenigen Bevölkerungsschichten dienen, die in luft- und lichtlosen Mietskasernen wohnen und sich den Luxus einer Badereise nicht leisten können.« Tatsächlich ist Berlin in dieser Zeit Welthauptstadt des Zille-Milieus: Im Schnitt stapeln sich 78 Bewohner pro Haus, mehr noch als in Brennpunkten wie Paris (38), New York (20) oder London (8).

In der Weltwirtschaftskrise steigt die Besucherzahl enorm: 1929 - 283 699; 1931 - 324 810. Viele wollen am Wasser Nöte vergessen. In Dauerzeltlagern auch an anderen Ufern von Spree und Dahme flattern häufig rote Fahnen, anfangs ohne Hakenkreuz. Auch der Zeltplatz »Kuhle Wampe« liegt in der Region. Dort, nicht weit vom Südufer des Sees, kampieren rote Arbeitersportler. Bertolt Brecht schreibt, angeregt von der Zeltstadt, das Drehbuch für den Film »Kuhle Wampe«. Arbeitersportler und -chöre treten zu großer Gage auf: Fahrgeld und eine Bockwurst.

Im Strandbad brennt bei Kriegsende das Restaurant ab. 1945 nutzt die Rote Armee die Anlagen als Lazarett. 1946 Beginn des Badebetriebs. 1951, Weltfestspiele in Berlin, wird das Bad stark erweitert, 1972 ein Urlauberdorf mit 36 Bungalows errichtet, 1973 zu den Weltfestspielen ein Strandfest ausgerichtet. Von 1974 bis 1978 Generalüberholung. Wagners Freitreppe wird durch eine aus Stahlbeton ersetzt, das Areal durch Eingliederung eines Teils des wilden FKK auf 121 000 Quadratmeter erweitert.

Auch in der DDR widerspiegelt das Bad seine Zeit. Die »BZ am Abend« etwa schreibt am 27. Juni 1953: »Im Strandbad Müggelsee waren an einem Sonntag einige Konsumverkaufsstellen geschlossen. So etwas darf es nicht mehr geben. Es sind Vorkehrungen getroffen worden, mit einer solchen Missachtung der Sorge um den Entspannung suchenden Großstadtmenschen ein für allemal Schluss zu machen«. So wird Volksvertreter Max Müller zitiert, nach einer Badvisite - kurz nach dem 17. Juni. Mit Abschluss der Rekonstruktion 1978, bei der neue Umkleideräume und WCs in den Kolonnaden des Wagner-Rondells entstehen, wird auch eine Obstverkaufsstelle eingerichtet, »die bis jetzt«, notiert DDR-Journalist Karl-Heinz Gerstner im Juli 1978 in der »Berliner Zeitung« vorsichtig, »gut sortiert war«. Anstelle der alten Gaststätte, so der Chronist, errichtete die DDR den »Gaststätten-Systembau« für 200 Gäste (innen) und 50 (außen) sowie ein Gebäude für Sauna und Kegelbahn. Gerstners Fazit: Die Rekonstruktion machte »aus dem vertrauten, etwas altväterlichen Strandbad … ein attraktives, modernes Naherholungszentrum«.

Erhard Viek ist Alt-Rahnsdorfer, der als Kind zwischen den Bojen schwimmen lernte. Am liebsten aber erinnert sich Viek, Diplom-Volkswirt, an Fischzüge, die er mit Kumpels an einem Zufluss unternahm. »Im Sommer trocknete das Mühlenfließ aus. Wir grasten Wasserlöcher ab, sammelten Plötzen, Rotfedern und Aal ein. In einem Waschzuber ging es damit zum Fischladen in Rahnsdorf. Die Verkäuferin gab uns ein paar Mark und verkaufte den Fang als Frischfisch.«

Die Wende im Land 1989/90 leitet die Flaute im Bad ein. 2006 kapitulieren die Berliner Bäderbetriebe. Das große Improvisieren mit immer kleineren Mitteln hebt an - und der Kampf der »Bürger für Rahnsdorf e.V.«. »Der zunehmende Verfall des Bades«, erklärt deren 1. Vorsitzender, Gion Voges, »ist darauf zurückzuführen, dass die Bäderbetriebe als Anstalt öffentlichen Rechts das gesamte Areal regelrecht verkommen ließen. Jede Form der Investition blieb aus, sodass weder zwingend notwendige Reparaturen am Baukörper vorgenommen noch die vorhandenen Einrichtungen funktionsfähig erhalten wurden. So war es nicht verwunderlich, dass die Besucher, denen man ein Eintrittsgeld von vier Euro zumutete, ausblieben. Von vorher jährlich ca. 150 000 waren 30 000 übrig geblieben mit der Folge, dass das Bad ein Jahresdefizit von 385 000 Euro aufwies.« Nikolaus Basedow, ebenfalls engagierter Rahnsdorfer, nennt weitere Ursachen: »Enorme Restriktionen wegen Natur- und Wasserschutz, Einwendungen der Berliner Forsten, Denkmalschutz …«

Ende 2005 soll das Bad aus Kostengründen geschlossen, die Riviera des Ostens ad acta gelegt werden. In dieser Lage bauen der Bürgerverein und der von ihm begründete Runde Tisch mit Bürgerbegehren jenen Druck auf, »den auch die zunächst eher unwilligen politisch Verantwortlichen nicht ignorieren konnten«, erinnert sich Voges. Im Mai 2006 werden die Wiedereröffnung und weitere Forderungen durchgesetzt - ganzjährige, unentgeltliche Öffnung von 9 Uhr bis Einbruch der Dunkelheit. Verein und Runder Tisch entwickeln mit mehreren Ingenieurbüros ein Nutzungskonzept und zwar, darauf legt Gion Voges Wert, »mit ganzjähriger wirtschaftlich tragfähiger Nutzung der gesamten Anlage und einem geeigneten Betreiber«. Die Bauarbeiten sollen Ende 2010 beginnen, scheitern aber an Bürokratie. Wieder zeigt der Bürgerverein jene Hartnäckigkeit, ohne die Bürgerinitiativen chancenlos blieben: Nicht zuletzt ihm ist es zu danken, dass die Bundesregierung dem Strandbad das Gütesiegel »Denkmal von nationaler Bedeutung« zuerkennt - wichtige Voraussetzung dafür, dass Bund und Land nun je vier Millionen Euro zur Sanierung vorhalten.

Von Gütesiegeln unbeeindruckt nagt im Bad der Zahn der Zeit. Es ist eine schlafende Schöne auf Kosmetikentzug. Keiner weiß das besser als Lothar Kreide. Der Friedrichshagener ist Teamleiter der zehn Beschäftigten, die für ein Trinkgeld ihre Hartz-IV-Bezüge aufbessern und das Großgelände in Schuss halten. Bei der Terminabsprache im Frühmärz ist der frühere Maschinenbauer mit seinen Männern am Ufer zugange. Sie fischen Schilf, Laub, Muscheln raus, harken den Sand im Badebereich. Die Saison steht an.

Das Strandbad Müggelsee erhält acht Millionen Euro zur Sanierung der denkmalgeschützten Anlage. Anfang Mai finden auch bei 
strahlendem Sonnenschein alle Besucher ausreichend Platz.
Das Strandbad Müggelsee erhält acht Millionen Euro zur Sanierung der denkmalgeschützten Anlage. Anfang Mai finden auch bei 
strahlendem Sonnenschein alle Besucher ausreichend Platz.

Kurz zuvor war ein Gutachten fürs Bad vorgelegt worden. Es sieht seine Zukunft positiv, will aber das Areal für die wirtschaftliche Entwicklung getrennt behandeln nach Strandbad, denkmalgeschütztem Gebäudeensemble, Ex-Großgaststätte, Sauna sowie den Bungalows im »Jugenddorf«. Im Unterschied zu den Autoren dieser Studie geht ein Konzept des Bürgervereins davon aus, dass - bei Erhalt der früheren Gaststätte - eine Kostendeckung für den Bezirk sehr wohl erreichbar wäre.

Lothar Kreide ist froh, dass es mit der Geldzusage eine Perspektive gibt. »Es drängt, die Bungalows sind asbestverseucht, vor allem ist die Terrasse undicht, weshalb der Wandelgang darunter laufend Schaden nimmt.« Bis die Sanierung beginnt, können Kreides Kollegen weiter »nur Gefahrenabwehr leisten - etwa, wenn auf der Freitreppe Fliesen zu ersetzen sind«. Der Bezirk als Eigentümer hat in den letzten Jahren nach Angaben von Bürgermeister Igel für den Unterhalt des Bads »pro Jahr durchschnittlich ca. 150 000 Euro aufgewendet. Darunter fallen Posten wie Betriebskosten, Müllentsorgung, Baumschnitt, Schädlingsbekämpfung, Reinigungsmaterialien, bauliche Instandhaltungsmaßnahmen, Bojen für den Schwimmbereich.«

Frontmann Kreide erlebt Licht und Schatten: »Bei einem schönen Sommer hatten wir zuletzt bis 300 000 Besucher pro Jahr. Kein Wunder, es ist ein herrliches Fleckchen Berlin. Aber: Viele Gäste kommen mit zwei Taschen an und gehen leer weg. Wir beseitigen jede Menge Unrat und holen oft genug Sitzbänke aus dem Wasser, die in den See bugsiert wurden.« Er weiß deshalb, was mit der Sanierung unbedingt geschehen müsste: »Nach Tagesschluss im Sommer muss ein Wachschutz gegen Vandalismus, Einbrüche, Graffiti her. Wenn nicht, wird vieles für die Katz sein« - und für ein nationales Kulturdenkmal zu armselig.

Wie oft bleiben Fragen, zumal in Berlin. Etwa, ob Fluglärmbelastung nach Eröffnung des BER die Sanierung beeinträchtigt und: wann das Bad neu erstrahlt. Bürgermeister Igel antwortet auf die erste Frage: »Bei dem Strandbadareal handelt es sich um ein Denkmal von nationaler Bedeutung, ein Kulturgut. Der Erhalt hat somit grundsätzlich nichts mit Fluglärm zu tun.« Nun ja. Zur Frage, wann fertig saniert sein wird, sagt er: »Bevor die Mittel fließen, müssen Planungsunterlagen bis zur Genehmigungsreife aufgestellt und bei der zuständigen Prüfungsbehörde des Bundes eingereicht werden. Das ist der übliche Weg. Dem geht eine EU-weite Ausschreibung der Planungsleistungen voraus, was schon allein circa vier Monate in Anspruch nehmen wird. Erst Mitte des nächsten Jahres kann mit Freigabe der Mittel gerechnet werden.« Ein Sanierungsende werde daher »vor 2018 nicht möglich sein. Das bedeutet, ich hoffe, dass der Müggelturm vorher fertig saniert sein wird. Beim Müggelturm liegt nach wie vor vom Investor keine abschließende Lösung für die barrierefreie Erschließung des Neubaus vor, sodass der Bauantrag nicht vollständig ist. Der Investor selbst hatte mit einer Bauzeit von einem Jahr ab Erteilung der Baugenehmigung gerechnet.«

Der Müggelturm wurde 1961 eingeweiht. Investor Matthias Große erwarb die Immobilie 2014 und will sie beleben. Von hier aus ist bei guter Sicht der Fernsehturm im Stadtzentrum zu sehen, vor allem jedoch, dass das Strandbad Müggelsee der Platz an der Sonne ist. Tipp zum Abschied: Das Bad ist am schönsten nicht im Sommer, sondern in Frühling, Herbst und Winter, wenn die Wellen hoch, Luft und Sonne frisch sind - und die Ostsee-Anmutung am intensivsten.

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