Das Kurzlebige und Vergängliche

Judith Kuckart hat einen Erzählreigen vorgelegt, der um Glückssucher kreist

  • Werner Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Man kann Judith Kuckarts neuen Roman auch als eine Reihe von Short Stories lesen. Dabei kommen einem mitunter die Filmwelten Robert Altmans in den Sinn, insbesondere dessen »Short Cuts«, jener Film, dem die Kurzgeschichten von Robert Carver zugrunde lagen. Überhaupt scheinen US-amerikanische Erzählweisen durch Kuckarts Roman hindurch, wenn die Autorin kurz und knapp, doch ungeheuer präzise und überaus sinnlich ihren Erzählkranz flicht und dabei mit Anspielungen, Auslassungen und Leerstellen arbeitet. Alles hängt irgendwie mit allem zusammen, einzelne Figuren, die in einer - oftmals entscheidenden - Lebensphase gezeigt werden, erscheinen, verschwinden wieder, um dann in Erwähnungen anderer und in neuen Geschichten erneut aufzutauchen. Zusammengehalten möglicherweise von diesem weiblichen »Ich«, das in der letzten Episode des Romans vom nächtlichen Anruf einer Freundin berichtet, die ihr mitteilt, dass ihr Musiklehrer - jener Joseph vielleicht, der mäandernd durch die verschiedenen Erzählungen kreist? - zwei Frauen auf bestialische Art umgebracht und sich selbst gestellt hat. Wer weiß. »Hatte Nico am Telefon eigentlich den Namen des Klavierlehrers gesagt? - Ich hätte ihn behalten, ganz sicher. Namen von Mördern behält man genauso lange wie die von Fußballspielern.«

Judith Kuckart versteht es meisterhaft, dem Alltäglichen und Banalen auf den Grund zu gehen, aus einer faden Gemengelage, die das Leben - unser aller Leben - überwiegend ist, die Besonderheiten hervorzuheben und zu verdichten. Besonderheiten jedoch - früher hätte man darunter epiphanische Momente verstanden -, aus denen, so poetisch sie auch erscheinen mögen, kaum etwas folgt. Wie gleich in der ersten Geschichte über den 18-jährigen, noch zu Hause wohnenden Studenten Leonhard, der Silvester alleine verbringt, weil seine Familie im Ferienhäuschen feiert, dann auf der Haustürschwelle eine schlafende Frau findet, sie in seine Wohnung bringt, schließlich mit der schönen und älteren Frau eine lustvolle Nacht verbringt, um sie, die wohl auf der Suche nach ihrer Tochter und Schwester gewesen ist, genauso unvermittelt wieder aus den Augen zu verlieren. »Der Bus radierte die Frau von letzter Nacht und ihre grüne Uniform weg.« Aus, Ende und vorbei.

Oder die Geschichte vom Polizisten Sven, einem Nachbarn von Leonhards Eltern, der darüber sinniert, ob er sich von seiner Frau trennen soll, um ein neues Leben zu beginnen. Vielleicht mit seiner Geliebten Marilyn, einer Alkoholikerin (»Alles an ihr, Brust, Beine und Bauch, war verschoben, weniger Millimeter vom Schönsein entfernt«)? Ein Kollege berichtet am Ende der Erzählung vom grausamen Tod Marilyns bei einem von ihr selbst ausgelösten Brand.

Oder die Geschichte von Dr. Karl Grams, der vor Jahren auf einer Geschäftsreise nach China eine junge Frau, Chinesin, kennen und lieben gelernt hat. Nun wird er beständig von Erinnerungen heimgesucht und am Ende eines Urlaubs mit Frau und Töchtern selbst verlassen: »Ich habe es den beiden eben gesagt, sagte seine Frau, ich verlasse dich. - Karl betrachtete den Boden und befand, dass der Stein ein guter Belag sei. - Einfach so, sagte er langsam. - Sie schnitt weiter Gemüse, schaute Tomaten und Gurken an, aber nicht ihn.«

Judith Kuckart hat einen Erzählreigen vorgelegt, der um Glückssucher kreist - um ein Glück, das irgendwo, schenkt man dem Titel des Bandes Glauben, hinter Belgien liegen muss. Nur - eben die Figur, die diese Formel geprägt hat, nimmt sich genau hier, auf Schienen in der Eifel via Belgien, das Leben. Das Glück ist halt eben gerade immer woanders, und einen Weg dahin gibt es nicht.

Judith Kuckart: Dass man durch Belgien muss auf dem Weg zum Glück. Roman. Dumont. 220 S., geb., 19,99 €.

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