Auf meiner Hochzeit

Martin Leidenfrost über seinen Versuch einer geistigen paneuropäischen Verkuppelung

  • Lesedauer: 4 Min.

Am Samstag heiratete ich. Ich bin Österreicher, die Braut ist Slowakin. 46 Prozent der Gäste stammten aus Österreich, 45 Prozent aus der Slowakei, der Rest aus zwölf weiteren Nationen. Diesen 140 höchst unterschiedlichen Individuen wollten wir die Reichtümer unserer Grenzregion zeigen. Wir überraschten sie mit einer Trauung nach byzantinischem Ritus, ein verheirateter griechisch-katholischer Pfarrer setzte uns vergoldete Kronen aus Lemberg auf. Hinterher ging 25-jähriger transnistrischer Cognac auf, die Sonne kam heraus, und die Hochzeitsgesellschaft zog zu Fuß über den Eisernen Vorhang, über den Grenzfluss March, aus der Slowakei nach Österreich. Die Braut war so schön, dass es schon übertrieben war.

Obwohl die Lichtmaschine unserer Zigeunerkapelle auf der slowakischen Autobahn verreckte, spielten die Sendreiovci pünktlich im niederösterreichischen Schloss Hof auf. Bereits ihre »leise Tischmusik« juckte in den Sohlen. Innerhalb dieses logistischen Alptraums hatte das Platzieren der Gäste das größte Vergnügen bereitet. Bang schielte ich zu den Tischen, ob unser Versuch einer geistigen paneuropäischen Verkuppelung aufging. Ich gewahrte, dass ein jüdischer Freund, Vorsitzender der Antidiskriminierungskommission des moldawischen Parlaments, mit einer gestrengen Schweizer Weißrussin über C.G. Jung haderte. Ein Wortführer des konservativen Katholizismus gestand mir verdattert, dass ihm niemand so sympathisch war wie ein schottisches Schwulenpaar in Schottenröcken. Diejenigen, die eine Weltanschauung vertraten, so ausgeprägt sie sein mochte, hatten offenbar kein Problem. Mein alter Wiener Redakteur geriet in Überschwang: »Dieses Fest war Europa, wie es sein könnte.«

Dennoch war ich lange sträflich schlechter Laune. Dies nicht mehr wegen der slowakischen Hochzeitsagentur, die mich mit versteckten Margen und dem Hochtreiben ihrer Provision vermittels ihrerseits die Marge hochtreibender Vertragspartner aufgebracht hatte. Die Agentur saß in Bratislava neben dem Thinktank MESA10 des Chefberaters der ukrainischen Regierung Ivan Miklos, dessen eisiger Neoliberalismus mich soeben in Kiew erschreckt hatte. Außer wenigen Schaustücken besaß »Wedday« nichts, nicht einmal eine Kühlbox für ein paar Flaschen zum Anstoßen. Zuletzt hatte ich die Agentur schriftlich beschimpft: »Sie verkörpern für mich alles Schlechte an der heutigen Ökonomie. Sie stellen keinen Berufsstand dar, Sie üben kein Handwerk aus, Sie verfügen über keine Produktionsmittel. Sie generieren nur Finanzströme und schneiden an ihnen mit.« An der Agentur hatte ich mein Mütchen also gekühlt, mein heiliger Zorn auf die asoziale Marktwirtschaft des postsozialistischen Raums war abreagiert.

Meine Heiterkeit blieb aus einem anderen Grunde aus. Ich musste während des Hochzeitsbanketts immer wieder auf zwei der 16 runden Tafeln schauen, die wegen der unentschuldigten Abwesenheit von neun Gästen löchrig blieben. Wir kannten die fehlenden Gäste aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, ich hatte sie trotz ihrer Eigenheiten gern. Ich konnte ihr Fernbleiben nicht verstehen, es empörte und kränkte mich. Sie waren alle Slowaken. Ich zermarterte mir den Kopf darüber, was die unbegreiflich Ferngebliebenen sonst noch verbinden konnte. Die rettende Erklärung kam mir spät: Sie waren alle Konsumenten von Internetseiten, die alternative Wahrheiten verbreiten, standen alle zunehmend unter dem Einfluss von in Osteuropa vielleicht schon mehrheitlich geglaubten Verschwörungstheorien: Hitlers slowakischer Statthalter Tiso, der zwei Drittel der slowakischen Juden nach Auschwitz deportieren ließ, hätte nur das Beste gewollt; die aktuelle Flüchtlingswelle wäre ein gesteuerter Versuch zur Zerstörung Europas. Auf meiner Hochzeit hätten die Ferngebliebenen einige hochprofilierte Journalisten getroffen, verantwortlich zeichnend für jene veröffentlichte Meinung, die sie nur noch in der Form des Gegenteils glauben. Stattdessen entzogen sie sich. Für eine offene Auseinandersetzung, so mein Gefühl, sind sie vorläufig verloren.

Am Sonntagabend fuhren wir nach Hause. Kurz vor Einbruch der Dämmerung strahlten Schloss und Plattenbauten präzis im klaren kühlen Abendlicht. Auf dem Rücksitz dufteten schwer die ungezählten Rosen. Ich hatte mit der Braut noch geplaudert, wer was mit wem in der Nacht der Hochzeit. Nun wurden wir still. Der ungewohnte Ring schimmerte an meiner Hand. Manchmal ein Streicheln, manchmal ein Lächeln. Und Frieden dann letztlich doch.

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