Staatsanwälte schauen weg

Stiftung Patientenschutz fordert Gesetze gegen Milliardenbetrug in der Pflege

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Einen 8-Punkte-Plan gegen Betrügereien in der Pflege stellte die gemeinnützige Stiftung Patientenschutz in Berlin vor. Damit sollen Milliardenverluste und schlechte Betreuung verhindert werden.

Als im April die Nachrichten über einen Berliner Pflegedienst die Runde machten, dessen acht Mitarbeiter durch systematischen Betrug einen Schaden von rund einer Milliarde Euro verursacht hatten, war die Empörung groß. Wie immer in solchen Fällen wurden mehr Kontrollen und strengere Gesetze gefordert.

Doch Betrug in der Pflege ist nichts Neues, sagte der Vorstand der gemeinnützigen Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, am Dienstag in Berlin. Tatbeteiligte seien Pflegedienste, Ärzte, Apotheker, Sanitätshäuser sowie bisweilen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. 2014 sei gegen 145 der knapp 600 Berliner Pflegedienste polizeilich ermittelt worden, hatte eine Zeitung im April berichtet und eine Schadenssumme von rund 30 Millionen Euro in Berlin und zwischen zwei und zehn Milliarden Euro bundesweit hochgerechnet. Selbst im Bundesgesundheitsministerium geht man von einer Summe «zwischen 100 Millionen und einer Milliarde» aus. Da werden Patienten erfunden, Leistungen abgerechnet, die niemals erbracht worden sind oder Gesunde zu Schwerstkranken gestempelt. Und das scheint nur die Spitze des Eisbergs zu sein: Eugen Brysch zufolge zeigt die Stiftung jedes Jahr zwischen sechs und sieben Betrugsfälle bei der zuständigen Staatsanwaltschaft an, die jedoch in den seltensten Fällen verfolgt würden.

Nun möchte die Stiftung «Bewegung in die Sache bringen». Sie fordert, eine einheitliche Patientennummer für alle Kranken- und Pflegeversicherten einzuführen. Man mag es kaum glauben, aber bisher hat jeder Patient zwei Nummern, unter denen Leistungen abgerechnet werden können. Die Pflegeleistungen sollten künftig nur noch elektronisch dokumentiert und berechnet werden. Regelmäßige Kontrollen, einheitliche Meldekriterien für Pflegewohngemeinschaften, der Schutz anonymer Hinweisgeber, Straffreiheit bei Selbstanzeige und Schadensbegleichung, eine Meldepflicht für ambulante Pflegedienste bei den Heimaufsichtsbehörden (auch die gibt es erstaunlicherweise bisher nicht) und zuguterletzt Schwerpunktstaatsanwaltschaften, wie sie Bayern, Hessen und Thüringen bereits eingerichtet haben - verbindlich in allen Bundesländern.

Eugen Brysch findet, das in Arbeit befindliche Pflegestärkungsgesetz III sei eine gute Gelegenheit, diese acht Punkte aufzunehmen und in der Sozialgesetzgebung fest zu verankern. Er könne dem Bundesgesundheitsminister nur empfehlen, hier schnell tätig zu werden, wenn er seine Partei nicht im kommenden Wahljahr mit dem nächsten Pflegebetrugsskandal konfrontiert sehen wolle.

Nach Ansicht des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac ist systematischer Betrug in der Pflege eine Folge der neoliberalen Gesundheitspolitik, die Gesundheit zur Ware macht. Langzeitpflege sei mittlerweile der am stärksten marktwirtschaftlich ausgerichtete Sektor im deutschen Gesundheitswesen und zudem der mit der größten Ausgabendynamik, hatte Manfred Fiedler von der bundesweiten Attac-Arbeitsgruppe Soziale Sicherungssysteme erst kürzlich erklärt. Das sei politisch gewollt. Fiedler hält es für Heuchelei, wenn sich diejenigen, die dieses System erfunden haben, angesichts bekannt gewordenen Betrugsfälle hinstellen und «Skandal» schreien. Letztlich sei die gesetzlich gewollte Maxime in der Langzeitpflege eine möglichst hohe Rendite. Dies ziehe das Geschäftsmodell nach sich, kostenträchtige Leistungen zu reduzieren und gewinnträchtige zu maximieren - ungeachtet des Bedarfs. Bessere Kontrollen würden nach Ansicht von Dagmar Paternoga, ebenfalls Mitglied der Attac-AG Soziale Sicherungssysteme, das Problem nicht lösen, sondern nur dazu führen, dass dieselben Mechanismen besser verdeckt würden. Das ganze System ist unsinnig und für die Betreuten schädlich.«

Der 8-Punkte-Plan der Stiftung Patientenschutz wird dieser Tage an das Bundesgesundheitsministerium sowie die einzelnen Fraktionen im Bundestag weitergereicht. Etwa ein Dutzend Journalisten waren bei der Vorstellung im Bundespresseamt dabei.

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