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Ein Knäuel entwirrter Tugenden

Dem Schauspiel- und Musiktheaterregisseur Hans Neuenfels, diesem Arbeiter am Werk, zum 75. Geburtstag

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Er gehört zur Avantgarde der Regie im Musiktheater. Dieser alte Haudegen, der nicht nachlässt, sein Metier zu verteidigen durch Arbeit am Werk. Was heutigen, innovatorisch sich gerierenden, aber höchst verschrobenen Musiktheatermachern gar nicht recht einleuchten dürfte. Denen reicht die Bebilderung von Mythen, die Spiegelung lebloser Klanggespinste. Die brauchen weder die Partitur noch konkrete Konflikte, noch Musik, die Nervenpunkte berührt, noch lebendige Figuren, noch die Klugheit, aus all dem etwas Großes zu formen. Aber genau darauf ist Hans Neuenfels aus.

Der Mann, nicht klein zu kriegen, durchsetzungskräftig, hat mit dem Opernbetrieb immer zu kämpfen gehabt. Er fand dort Freunde und Feinde. Seine eigenwillige, klare, genaue Regiesprache forderte Intendanten und sonstiges Personal heraus. Denn er schlug vor und verwirklichte, was der durchschnittliche Betrieb unterließ. Wie Pierre Boulez, als er jung und überenergisch war, die Opernhäuser am liebsten in die Luft gejagt hätte und Luigi Nono sich eine Pistole wünschte, um mit dem glatthobelnden Betrieb fertig zu werden, so suchte Neuenfels die olle Musikbühne aus den Angeln zu heben, mit Hilfe der Windmaschine den Staub von der Bühne zu blasen und neue Sichten auf deren Sprach- und Ausdrucksformen zu finden.

Groß seine Zeit an der Frankfurter Oper unter der Ägide Michael Gielens, der zwischen 1977 und 1987 das Haus leitete. Zeit der Experimente, der Neusichtung von durch den Betrieb nivellierten Partituren. Es galt, die Werke »wieder und wieder zu lesen«, wie Gielen schreibt, »in verschiedenen Richtungen, bis der ›wahre‹ Inhalt gefunden ist, der oft nicht gleich sichtbar an der Oberfläche liegt, meist von dummer Praxis verschüttet ist.« Am eindrucksvollsten sei das mit Verdis »Aida« unter Hans Neuenfels gelungen. Auch Franz Schrekers »Die Gezeichneten« hat der Regisseur während dieser Jahre gemacht.

Geboren in Krefeld 1941, inszenierte Neuenfels auch am Schauspiel Frankfurt unter Peter Palitzsch, des weiteren in Stuttgart, Hamburg, Berlin, München, Zürich, Wien. Schauspiel- und Musiktheaterregie gehen bei ihm Hand in Hand. Er schuf auch Libretti und sieht in der Bearbeitung alten Materials gute Chancen, Oper zu entschlacken und mit den Kollisionen der Jetztwelt in Beziehung zu setzen. Gegenwartsopern ließ er nicht aus. Aribert Reimanns »Lear« kam unter ihm an der Komischen Oper Berlin, im gleichen Jahr in Schwetzingen Wolfgangs Rihms »Proserpina«.

2004 inszeniert Neuenfels inStuttgart Janáčeks »Die Sache Makropolus«. Schostakowitschs »Lady Macbeth von Mzensk« bringt er im selben Jahr auf die Bühne der Komischen Oper. Er mobilisiert hier beispielhaft ein ganzes Knäuel unabgegoltener Musiktheatertugenden, entwirrt, entfaltet es. Erste Tugend: Statt vor russisch-westeuropäischem Kitsch überzuströmen, kommt das Sachliche, Klare auf den Plan. Zweite Tugend: Nichts wird lediglich heruntermusiziert und -gesungen, alle Musik, alles Singen steht im Dienste der vorgeführten Geschehnisse und Konflikte. Dritte Tugend: Die Aufführung, hohe Handwerklichkeit der Sparten vorausgesetzt, will der Gegenwart nicht gefallen, wohl aber heutigen gesellschaftlichen Konfliktlagen entsprechen. Vierte Tugend: Ein Stil sei zu kultivieren, der alles Überflüssige, Äußerliche meidet, und das innere Geschehen hervorkehrt. Fünfte Tugend: Keine Show oder Serviceleistung darf Musiktheater sich erlauben, zurechtgezimmert für deutsche Senile, Touristen von der Stange, russische, italienische, deutsche Mafiosi und Wiener, Dresdner, Petersburger Sentimentalisten, sondern lebendiges Musiktheater für Leute wie dich und mich. Hat sich einer solchen Tugenden unlöslich verschrieben, dann Hans Neuenfels. An diesem Dienstag wird er 75.

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