Atomwirtschaft in der Bredouille

Energoatom ist zahlungsunfähig, Mitarbeiter fürchten um ihre Jobs

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 3 Min.
Der ukrainische Staatskonzern Energoatom will Schulden nicht begleichen. Nun bleibt er auch noch auf seinem Atommüll sitzen.

Die anhaltende Zahlungsfähigkeit des ukrainischen Staatskonzerns Energoatom, Betreiber aller dortigen Atomkraftwerke, stellt den reibungslosen Betrieb der AKW, die über die Hälfte des ukrainischen Stroms liefern, in Frage. Solange die Ukraine ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkomme, werde Russland die vertraglich zugesicherte Aufnahme ukrainischer Brennstäbe nicht mehr übernehmen, erklärte nun ein Sprecher des russischen Atomkonzerns Rosatom.

Sollte die russische Weigerung anhalten, muss sich die ukrainische Atomwirtschaft überlegen, wie sie ihren Müll entsorgen will. Im Land gibt es kein Atommülllager. Lediglich das AKW Saporoschje verfügt über eine werkseigene Deponie. Ende April hatte der ukrainische Umweltminister Ostap Semerak erklärt, die Ukraine werde den gesamten Nuklearzyklus selbst betreiben. Es sei nicht einzusehen, warum man Russland für die Abnahme der Brennstäbe weiter bezahlen solle.

In Zusammenarbeit mit der US- Firma Holtec ist nun der Bau eines Atommülllagers unweit des Städtchens Iwankow im Bezirk Kiew geplant. 2018 soll das hundert Kilometer nördlich von der Hauptstadt geplante Lager in Betrieb gehen. Doch der Widerstand wächst. Es sei nicht einzusehen, so der Umweltschützer Wladimir Borejko, warum ausgerechnet so nah bei Kiew gebaut werden solle: »In der Nähe von Paris, Washington oder Moskau baut man doch auch keine Atommülllager«, sagte Borejko dem ukrainischen Internetportal strana.ua.

Auch der Gemeinderat von Iwankow und der Kiewer Bezirksrat haben sich gegen das Projekt ausgesprochen. Stadträtin Olga Salij sagte gegenüber strana.ua, Protestschreiben seien nur mit einer Empfangsbestätigung beantwortet worden. Die Städte und Kommunen müssen sparen: »Erst kürzlich hat man 40 Betten im Stadtkrankenhaus weggekürzt«, so Salij. Für das Atommülllager sei dagegen Geld da. 87,5 Millionen Euro haben die Länder der G7 und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung laut strana.ua bereits zugesagt.

Auch die Angestellten der Atomwirtschaft sind beunruhigt. Über tausend forderten am Dienstag vor dem Sitz von Präsident Poroschenko in Kiew eine sofortige Reaktivierung der Konten von Energoatom. Hintergrund der Zahlungsunfähigkeit ist ein Rechtsstreit mit der Firma Ukrelektrowat. Energoatom war 2011 zu knapp fünf Millionen Euro Strafe verurteilt worden. Der Konzern erkennt diese Schulden aber nicht an.

Am 28. Januar hatte das Parlament noch versucht, mit einem Gesetz eine drohende Insolvenz abzuwenden. Nach dem Veto durch Poroschenko wurden Anfang März Konten und Gelder in Höhe von sieben Milliarden Euro eingefroren. Bei der Gewerkschaft versteht man nicht, wieso wegen einer Schuld von fünf Millionen Euro Konten in Höhe mehrerer Milliarden eingefroren werden.

Bei dem Konflikt geht es auch um einen Gesetzentwurf des Energieministeriums zur Neuregelung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Konzerns. Sollte er Gesetz werden, so fürchtet Alexej Lych, Sprecher der ukrainischen Atomgewerkschaft, dürfte Energoatom Schulden mit Anteilen begleichen. Dadurch könnte der Konzern staatlicher Kontrolle entzogen und Teilbereiche wie Reparaturleistungen ausgegliedert werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal