Maaßlose Offenheit

Verfassungsschutzchef: V-Leute ohne NSU-Bezug

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Hat das Bundesamt für Verfassungsschutz Beweismittel zur Aufklärung der NSU-Verbrechen unterdrückt? Der Untersuchungsausschuss befragte dazu Geheimdienstchef Maaßen.

Rund zwei Stunden musste der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen am Donnerstag vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in geschlossener Sitzung Auskunft über die jüngsten Fehlleistungen in Sachen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) geben. Es ging dabei vor allem um den vor zwei Jahren plötzlich durch einen Zuckerschock verstorbenen Thomas Richter (»Corelli«) sowie den in der Schweiz lebenden Ralf Marschner (»Primus«). Am 11. Mai musste der Geheimdienst einräumen, dass im vergangenen Sommer ein bis dahin unbekanntes Handy von Richter im Panzerschrank seines V-Mann-Führers entdeckt wurde. »Schon« nach einem Dreivierteljahr fand man heraus, dass sich darauf Tausende Fotos aus der Naziszene sowie rund zweihundert einschlägige Kontaktadressen befanden. Nunmehr entdeckte man im selben Panzerschrank die fehlende SIM-Karte für das Handy sowie zusätzlich zwei niederländische und zwei deutsche SIM-Karten, die Richter zuzuordnen sind. Maaßen versicherte den Abgeordneten, dass kein V-Mann des Bundesamtes einen »NSU-Bezug« gehabt habe.

Nach den neuen »Pannen« im Bundesamt für Verfassungsschutz, versuchte der für die Dienst- und Rechtsaufsicht zuständige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die Flucht nach vorn: »Wir erwarten vollständige und maximale Aufklärung im Bundesamt.« Mitarbeiter aus dem Innenministerium werde man entsenden, um »den Sachverhalt restlos aufzuklären«. Für den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, den CDU-Abgeordneten Clemens Bininnger scheint zumindest erwiesen, dass bei einigen Mitarbeitern des Geheimdienstes »offenbar die notwendige Sensibilität fehlt«. Die LINKE-Obfrau Petra Pau mag die Erklärung »Panne« nicht mehr hören und forderte vom Verfassungsschutz rückhaltlose Aufklärungen über die Bezüge des Geheimdienstes zum NSU-Netzwerk.

Auch bei der Aufklärung der Rolle des V-Mannes »Primus« aus Zwickau mauert der Geheimdienst. Der soll unter anderem Uwe Mundlos - einen der mutmaßlich NSU-Mörder - in seiner Baufirma beschäftigt haben. Das war das eigentliche Thema der Donnerstag-Beratungen im Ausschuss, zu denen vier Zeugen der Polizei geladen waren. Obwohl der Untersuchungsausschuss bereits vor einem Jahr beim Bundesamt alle einschlägigen Akten zu Marschner angefordert hatte, wurde noch nichts geliefert.

Seit dem 11. November 2011 ist das Bundeskriminalamt vom Generalbundesanwalt mit der Aufklärung der durch den NSU begangenen Morde, Anschläge und Überfälle beauftragt. Von Anfang hätte der als gewalttätig bekannte Neonazi Marschner im Zentrum des Interesses stehen müssen. Es gibt einen anonymen Hinweis darauf, dass Marschner und ein weiterer Hooligan 1999 an der Ermordung des 17-jährigen Punkers Patrick Türme beteiligt gewesen sein soll. Die Schuld von Marschner wurde offenbar nie geklärt. Merkwürdige Lücken gibt es in den BKA-Ermittlungen zu Marschners Baufirma, in der ausschließlich Leute aus dem Blood&Honour-Bereich beschäftigt waren. Es besteht der Verdacht, dass die Firma zumindest unter Duldung des Verfassungsschutzes aufgezogen worden sein könnte. Es gibt eine Reihe vergleichbarer Fälle, bei denen vom Geheimdienst versucht wurde, durch solche Firmen den Überblick über Aktivisten der rechtsextremistischen Szene zu behalten. Was offenbar nicht klappte.

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