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In Bewegungen

Der Schriftsteller Erasmus Schöfer wird 85

  • David Salomon
  • Lesedauer: 3 Min.
Wie bei kaum einem anderem Schriftsteller verdichten sich bei Erasmus Schöfer die Hoffnungen und Niederlagen linker Bewegung in der Bundesrepublik seit den sechziger Jahren. Der in Köln lebende Autor wird 85.

Der Literaturwissenschaftler Werner Jung kennzeichnete Erasmus Schöfers Werk einmal als »Literatur in der Bewegung und zugleich in Bewegung«. Tatsächlich verdichten sich bei ihm die Ereignisse und Erfahrungen, Hoffnungen und Niederlagen linker Bewegung in der Bundesrepublik seit den sechziger Jahren wie bei kaum einem anderem Schriftsteller seiner Generation.

Schöfers Texte greifen ein und beziehen Stellung in politischen Auseinandersetzungen: vom Kampf gegen die Notstandsgesetze bis zu den Protesten gegen das Atomkraftwerk in Whyl, von den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg bis zum Arbeitskampf gegen die Schließung des Kruppwerks in Rheinhausen. Dabei sind die Hörspiele, Romane, Erzählungen und Gedichte mehr als bloße Wirklichkeitswiedergabe. Sie suchen einen ästhetischen Ausdruck, der soziale Realität nicht nur abbildet, sondern sie verstehend durchdringt. Schöfers literarisches Schreiben ist ästhetische Erforschung bestehender Gesellschaft und Reflexionsraum für Alternativen menschlichen Zusammenlebens. Es geht Schöfer um den Realismus.

Zu diesem realistischen Programm gehörte schon früh der Anspruch, einen literarischen Ausdruck für die Geschehnisse in der industriellen Arbeitswelt zu finden, die dem größtenteils bürgerlichen Literaturbetrieb ein Buch mit sieben Siegeln geblieben war. Dass die bürgerliche Gesellschaft sich gerade hier als herrschaftsförmige Klassengesellschaft zeigt, nahm bereits die Dortmunder Gruppe 61 zum Anlass, das Arbeitsleben zum literarischen Gegenstand zu machen. Als Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre aus der in der Gruppe kontrovers diskutierten Frage der Gründung von Werkstätten und der Aktivierung von Arbeitern zum literarischen Schreiben der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt entstand, wurde Erasmus Schöfer sein Sprecher. Insbesondere in den siebziger Jahren entstanden zahlreiche Bände mit Reportagen, Erzählungen, Theaterstücken und Gedichten, die als im Fischer Verlag erschienene Taschenbücher hohe Auflagen und eine große Verbreitung fanden. In den Schreibwerkstätten des Werkkreises wurden auch Texte zu einer alternativen Geschichtsschreibung erarbeitet. Hierzu zählt auch der von Schöfer herausgegebene Band »Der rote Großvater erzählt« (1974) der Düsseldorfer Werkstatt.

In den achtziger Jahren, in denen die Aufbrüche seit 1968 allmählich stagnierten und der Neoliberalismus seinen Triumphzug antrat, schrieb Erasmus Schöfer nicht nur Erzählungen (»Friss Vogel, stirb« 1987) und zahlreiche Hörspiele, sondern publizierte auch die erste Ausgabe des Romans »Tod in Athen«, in dem persönliche und politische Depression in Gestalt des Protagonisten Bliss mit griechischer und deutscher Zeitgeschichte verschmelzen. Der Roman wurde zum Grundstein der Tetralogie »Die Kinder des Sisyfos« (2001-2009), in die er - überarbeitet - als dritter Band »Sonnenflucht« einging. Die vier Romane sind eine Bilanz linker Aufbrüche und Niederlagen zwischen 1968 und 1989. In ihren Figuren spiegelt sich die Epoche. Dabei kommt Schöfer nicht von einem »besserwisserischen« Heute auf die Ereignisse zurück, sondern nimmt seine Figuren in ihrer Zeitgenossenschaft ernst. Wie Peter Weiss in »Die Ästhetik des Widerstands« geht es auch Schöfer um den Zusammenhang von theoretischer Reflexion, künstlerischer Darstellung und politischem Engagement. Sisyfos steht hierbei nicht als Einsicht in Vergeblichkeit, sondern für die Beharrlichkeit, das große Emanzipationsprojekt der Moderne noch nicht verloren zu geben. Die Bücher sollen Mut machen.

Am Samstag feiert der in Köln lebende Schriftsteller seinen 85. Geburtstag.

Diesen Sonntag, 18 Uhr, lädt das Literaturhaus Köln zu einer Veranstaltung anlässlich des 85. Geburtstags von Erasmus Schöfer ein. Sein neues Buch »Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers« erscheint am Montag im Verbrecher-Verlag.

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