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Augen auf vorm Rettungseinsatz

Tierschutzbund: Nicht jedes tierische Findelkind ist hilfsbedürftig

  • Andreas Göbel, Weimar
  • Lesedauer: 3 Min.
Was tun, wen man hilflose Tiere findet? Manchmal kann die gut gemeinte Hilfe auch die falsche Entscheidung sein, warnen die Experten.

Nicht viel größer als ein Daumen ist der neue Patient von Helga Brunnemann aus Weimar: Gerade mal zwei Wochen alt ist die Blaumeise, die aufmerksame Spaziergänger gefunden hatten. Behutsam nimmt Helga Brunnemann den Winzling in die Hand und bietet ihm mit einer Pinzette eine Bienenlarve. Vorsichtig öffnet sie mit dem Fingernagel das Schnäbelchen, schließlich schluckt der kleine Patient sein Mittagessen. »Wenn sie erstmal fressen, stehen die Chancen ganz gut, dass sie durchkommen«, sagt die Rentnerin. Sie kümmert sich privat seit fast 20 Jahren um verletzte und aus dem Nest gefallene Vögel.

Rund 100 gefiederte Patienten sind im Schnitt bei ihr zu Gast - die meisten sind nach ein paar Wochen wieder flugtüchtig und können in die Freiheit entlassen werden. Besonders die Versorgung von Jungvögeln wie der kleinen Blaumeise sei ein Full-Time-Job. »Spätestens alle zwei Stunden müssen die Kleinen gefüttert werden, da bleibt kaum Zeit für etwas anderes.« Wie lange sie die zeitraubende Aufgabe noch stemmen kann, weiß Brunnemann nicht. »Aber bisher ist keiner in Sicht, der dass übernehmen könnte.« Im gesamten Raum Weimar und Erfurt gebe es derzeit kaum jemanden, der Kleinvögel in größerem Maßstab aufnehme und gesund pflege. In Weimar gebe es nur eine weitere Pflegestelle für große Vögel wie Amseln oder Krähen.

Wie viele ehrenamtliche Helfer wie Brunnemann es landesweit gibt, wird nicht zentral erfasst. Grundsätzlich sei der Bedarf an Hilfe aber seit Jahren unverändert hoch, sagt Gerd Fischer vom Thüringer Landestierschutzbund. Vielerorts werde es immer schwieriger, Menschen zu finden, die ihre Freizeit für die Pflege von verletzten oder verwaisten Tieren opfern. Speziell in sehr heißen Sommern oder wie aktuell bei vielen Gewittern und Dauerregen würden extrem viele Tiere abgegeben. Doch nicht jedes tierische Findelkind sei automatisch auch hilfsbedürftig, sagt Fischer. »Gerade im Herbst kommen viele Leute mit vermeintlich hilfsbedürftigen Igelbabys. Tiere, die über 500 Gramm wiegen und nicht verletzt sind, brauchen aber in der Regel gar keine Hilfe«.

Generell sei es immer ein guter Tipp, das jeweils zuständige Tierheim zu kontaktieren, meint Fischer. Ein Tier einfach einzupacken und mitzunehmen, kann auch die falsche Entscheidung sein. Bei Tierfunden in der freien Wildbahn etwa muss der zuständige Revierjäger informiert werden, bei geschützten Wildtieren zudem die untere Naturschutzbehörde, warnt das Umweltministerium. »Wer einen verletzten Hasen oder ein Reh im Wald einfach einpackt und mitnimmt, begeht einen Wilddiebstahl und kann dafür ernsthaft Ärger bekommen«, warnt Fischer. Die einzige offizielle Auffangstation für verletzte Wildtiere im Freistaat ist die Vogelschutzwarte Seebach.

Grundsätzlich sollten Tierfreunde ein gewisses Maß an Beobachtungsgabe mitbringen, wenn sie verletzte Tiere fänden, sagt Vogelfreundin Brunnemann. »Immer wieder ist in den Medien zu hören, dass Tierfindlinge auf keinen Fall mitgenommen werden sollen. So ein Unsinn macht mich wütend.« Seien Vögel sehr jung oder verletzt oder könnten noch nicht einmal flattern, bräuchten sie Hilfe. »Das gilt besonders bei Mauerseglern, denn wenn die auf dem Boden vor dem Nest liegen, kümmern sich die Eltern grundsätzlich nicht.« Schwalbenjunge hingegen könnten ohne Probleme wieder ins Nest gesetzt werden. dpa/nd

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