Der Streit wird verschoben
Bei einem Kleinen Parteitag hat die SPD erste Schwerpunkte für den Wahlkampf festgelegt
Als Sigmar Gabriel zwischenzeitlich den Kleinen Parteitag der Sozialdemokraten am Sonntag verließ, um sich den Fragen der Journalisten zu stellen, wirkte er so, als habe es die Krise der SPD nie gegeben. »Es ist ein spannender und gut gelaunter Konvent«, verkündete der Parteivorsitzende im Atrium des Berliner Willy-Brandt-Hauses. In Wirklichkeit ist die Stimmung in der Partei jedoch nicht sonderlich gut. Umfragen sehen die SPD nur noch bei 21 bis 22 Prozent. Viele Anhänger sind unzufrieden mit Gabriel und der Großen Koalition. Auch deswegen kursierten erneut Personalgerüchte in diversen Medien. Demnach haben der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz sowie Europaparlamentspräsident Martin Schulz doch nicht vollständig ausgeschlossen, im nächsten Jahr Kanzlerkandidat der SPD zu werden. Allerdings sind die beiden Politiker aufgrund der schwierigen Lage der Partei gut beraten, sich weiter zurückhaltend über ihre Ambitionen zu äußern.
Als Favorit für die nach derzeitigem Stand aussichtslose Spitzenkandidatur gilt Gabriel. Auf die Frage, ob bei dem Konvent auch über seine Person und Amtsführung geredet worden sei, antwortete Gabriel scherzhaft: »Vielleicht passiert das jetzt, weil ich nicht mehr da bin.« Die 200 Delegierten haben offenbar vor allem über Inhalte diskutiert. Details sollte die Öffentlichkeit nicht erfahren. Der Kleine Parteitag beriet unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Letztlich beschloss das Gremium, dass 12 000 neue Polizisten in Bund und Ländern bis 2019 notwendig seien. Zudem müsse mehr Geld für Bildung, Digitales und den sozialen Wohnungsbau ausgegeben werden.
Für letzteres Thema hatte Gabriel aus Wahlkampfzwecken Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller mit zur Pressekonferenz genommen. In Berlin finden am 18. September Abgeordnetenhauswahlen statt. Müller betonte, dass die sozialdemokratische Mietpreisbremse weiterentwickelt werden müsse. Notwendig sei auch eine Stärkung der Mieterrechte bei Modernisierungen. Die Mietpreisbremse war weitgehend wirkungslos geblieben. In Berlin sind die Mieten binnen eines Jahres um bis zu 17 Prozent gestiegen.
Zumindest verbal will sich die SPD-Spitze bis zur Bundestagswahl 2017 von der Union abgrenzen. Die SPD sei eine »linke Volkspartei«, welche die Mitte gewinnen sowie den »Sozialstaat erhalten und ausbauen« wolle, so Gabriel. Höhere Sozialleistungen, die das Existenzminimum sichern würden, meinte der Parteichef damit nicht. Immerhin sprach sich Gabriel aber dafür aus, dass Männer und Frauen gleich bezahlt werden müssten. Ein Gesetz der SPD-Familienministerin Manuela Schwesig, das mehr Transparenz und Lohngerechtigkeit schaffen soll, verzögert sich nun wegen des Widerstands aus der Union.
Die großen Fragen, in denen es noch zu Konflikten zwischen Gabriel und seinen Verbündeten sowie dem linken SPD-Flügel kommen könnte, will die Partei später behandeln. Mit dem Freihandelsabkommen CETA wird sich ein SPD-Konvent am 19. September befassen. Gabriel ist ein Befürworter des kanadisch-europäischen Abkommens. Linke Sozialdemokraten befürchten, dass dadurch demokratische, soziale und ökologische Standards ausgehöhlt werden. Sie pochen auf einen Parteibeschluss, in dem sich die SPD gegen diese Auswirkungen ausgesprochen hat.
Bereits vor dem Konvent haben Vertreter der Parteilinken wie der Chef des SPD-Arbeitnehmerflügels, Klaus Barthel, zudem die Wiedereinführung der Vermögensteuer sowie einen höheren Spitzensteuersatz gefordert. Zudem sollte das gesetzliche Rentenniveau deutlich über 50 Prozent stabilisiert und die Riester-Rente wieder abgeschafft werden. Dieses Programm ist nicht im Sinne Gabriels. Bei seiner Rede vor dem Konvent habe er betont, dass allein höhere Steuern nicht mehr Gerechtigkeit bringen würden. Wer sich in diesen Fragen durchsetzt, werden die nun begonnenen Debatten über das SPD-Wahlprogramm 2017 zeigen.
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