Optimist wider besseres Wissen

Seine Bücher erschienen in sorbischer und in deutscher Sprache: Zum 100. Geburtstag von Jurij Brezan

  • Christel Berger
  • Lesedauer: 5 Min.

Als er geboren wurde, war der Vater, Kleinbauer und Steinbrucharbeiter, im Krieg. Weil die Behörden auf deutschen Namen bestanden, wurde er als Georg eingetragen, obwohl er von den Seinen nur »Jurij« genannt wurde. Jurij Brězan: Anlässlich seines 100. Geburtstages erschien jetzt im Domowina-Verlag eine Biographie von Dietrich Scholze, die detailliert den Lebens- und Arbeitsstationen des Schriftstellers nachgeht. Der Verfasser legt dabei großen Wert auf Sachlichkeit und die Besonderheit der zweisprachigen Existenz des Werkes.

Jurij Brězan war Sorbe, und sowohl die soziale als auch die nationale Herkunft prägten die Problematik dieses Mannes sein Leben lang. »Die Indianer Mitteleuropas« - wie Brězan manchmal seine Leute nannte, lebten seit Jahrhunderten in der Lausitzer Gegend, früher als die Deutschen, und sie waren und sind ein stolzes Volk. Sie wurden zur Minderheit, und diese Asymmetrie, so wieder der Sorbe Brězan, setze sich bis heute fort. Das Trachten nach einem guten, vernünftigen Verhältnis war Ziel seines Lebens und Wirkens, und das war nicht immer einfach.

Ausnahmeschüler am Gymnasium, erlebte er tagtäglich den Unterschied zwischen arm und reich, und hinzu kam seine »wendenstämmige« Herkunft. So sehr sich die Nazis auch anstrengten, die »nichtarischen minderwertigen« Sorben auszurotten, so wuchs in den Unterdrückten der Widerstand. Auch der junge Brězan gab seinen Landsleuten Sprachunterricht, bekam Verbindung zu Kreisen des sorbischen Widerstands und wurde schließlich kurz vor dem Abitur von der Schule verwiesen. In Dresden durfte der »politisch unzuverlässige Wende« ebenfalls die Prüfung nicht ablegen. Er ging nach Prag, dann nach Polen, wo er endlich in Torun 1939 die Reifeprüfung bestand. Illegaler Arbeit im verbotenen sorbischen Studentenbund und anderer Widerstandsgruppen folgten Verhaftung und Gefängnis. Nachdem er unverhofft freigekommen war, arbeitete er in der Landwirtschaft als Gutsverwalter, um dann doch noch als Nachrichtensoldat der Wehrmacht Krieg und Gefangenschaft zu erleben.

Als er im Januar 1946 in die Lausitz heimkehrte, war er 30 Jahre alt, reich an Erfahrungen und offen für viele mögliche Wege. Er entschied sich, als Funktionär in der Jugendabteilung der Domowina zu arbeiten und schrieb, anfangs »nebenbei«. Eine Entscheidung also für die Sorben, denn er hoffte sehr, dass sein Volk im neuen Deutschland eine Chance bekäme. »Nach Hitlers Ende atmeten wir auf und wurden, kaum eine Fingerhand später, durch die Umstände belehrt, dass ein Bittsteller eher ein geneigtes Ohr findet als einer, der laut nach Recht und Gerechtigkeit schreit.« Als »Vorzeigesorbe vom Dienst«, wie er sich später einmal spöttisch selbst bezeichnete, hat er zwar oft mit Einsprüchen und letztlich als Bittsteller einiges erreicht, doch eigentlich war das sein Part nicht. Ihm ging es immer um das Recht seines Volkes auf Eigenständigkeit. Das war manchmal zermürbend, zumal er trotz aller hohen Ehrungen in der DDR auch Diffamierungen aushalten und sich dagegen wehren musste - »nacheinander und gleichzeitig außer Titoist, sowjetfeindlich, volksfremd, Anhänger des Formalismus in der Kunst, Verführer der sorbischen Jugend, feindlich eingestellt gegen Partei und Staat, besonders gefährlicher sorbischer Nationalist.« Nach der Wende sollte er dann als »Kumpel Honeckers« beschimpft werden und war für eine Zeit aus dem Kalender der Sorben getilgt.

Besonders problematisch war es dabei für den zweisprachigen Schriftsteller, dass er seit der Schule Literatur und Geist fast ausschließlich über die deutsche Sprache kennengelernt hatte, und er sich manches erst ins Sorbische übersetzen musste. So kompliziert das zuweilen für ihn gewesen sein mag, damit wurde er zum großen Vermittler zwischen den Sorben und den Deutschen. Die meisten seiner Bücher erschienen in beiden Sprachen. Was er an humanistischer Bildung erworben hatte, verflocht und verglich er mit sorbischen Mythen und Erfahrungen und um wie vieles wäre die Literatur ärmer, besäßen wir nicht mit Brězans Werk ein Kompendium an Märchen, Sagen, Naturbetrachtungen, Volksweisheiten.

Brězan hat lange gebraucht, ehe er die Bücher schrieb, die ihm vorschwebten. Zuerst ist es ihm wohl gelungen mit seinen Kinderbüchern. Obwohl er die ersten sehr agitatorischen Arbeiten aus den frühen 50er Jahren nie verleugnete und auch immer beherzt zu seiner der damaligen Zeit angemessenen Hanusch-Trilogie (1958 - 1964) stand, erschienen doch erst nach seinem 60. Lebensjahr seine Meisterwerke: 1976 »Krabat oder die Verwandlung der Welt«, 1982 »Bild des Vaters«, 1995 »Krabat oder die Bewahrung der Welt«.

Krabat, der sorbische Zauberer, hatte es ihm angetan. Mehr und mehr entdeckte er, wie viel hinter dem Krabat-Stoff steckte, und er schickte seinen Helden gemeinsam mit dem Müller und Trompeter Jakub Kuschk auf die Suche nach dem »Glücksland«. Über die Jahrhunderte hinweg muss dabei das bäuerliche Geschlecht der Serbins sich gegen die Macht der Adelsfamilie Reisenberg, den Wölfischen, zur Wehr setzen. Der ewige Gegensatz zwischen Gut und Böse, Arm und Reich erfährt in den Begebenheiten und Schicksalen mannigfaltige Geschichten, Wahrheiten, Schilderungen.

Brězan hat seinen Erzählstil gefunden: Vielsträngig und miteinander verwoben, bildreich, voller Vergleiche, oft verrätselt und vieldeutig. Der Brězan-Fan Peter Handke sprach von der »Fast-Unzugänglichkeit dieses Epos« und dennoch sind die beiden Bücher eine Quelle voller Weltentdeckung und Weisheit. Brězans nicht ungetrübter Optimismus von der Möglichkeit der Verwandlung der Welt aus dem ersten Band hat sich im zweiten geändert: Der Autor beschreibt die gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen, die auf die Zerstörung der Natur, ja der Welt zulaufen und appelliert an die »Bewahrung der Welt«, die Krabat und Reisenberg möglicherweise nur noch gemeinsam erreichen können. »Optimist wider besseres Wissen« nannte Brězan seine Haltung.

Kurz vor Vollendung seines 90. Lebensjahres starb er, seiner sozialen und nationalen Herkunft treu geblieben. »Mein ganzes Schreiberleben lang habe ich Partei genommen für die, die den dicken Kanten Brot dünn mit Butter bestreichen müssen.« Und noch in seinem letzten Interview appellierte der Sorbe an die Politiker: »... wenn Sie uns wirklich helfen wollen zu überleben (...), dann müssten Sie in den Sonntagspredigten Ihre Landsleute wenigstens ermahnen, uns nicht für Ihre Untermieter zu halten, sondern als wirkliche Nachbarn betrachten.«

Dietrich Scholze: Jurij Brězan. Leben und Werk. Domowina-Verlag, 294 S., geb., 19,90 €.

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