Sozialneid von oben
Ellen Wesemüller über Affekte im Arbeitskampf der Lehrer.
Angestellte Lehrer wollen besser bezahlt werden: wie verbeamtete Lehrer. Grundschullehrer wollen besser eingruppiert werden: wie Gymnasiallehrer. Sie leisten die gleiche Arbeit und wollen den gleichen Lohn. So weit, so gut. Der Senat veröffentlichte nun seine »Auswertung« des »Forderungskatalogs« der Gewerkschaft, in der er bemerkt - so süffisant, wie es in einer Verwaltungssprache nur geht - dass angestellte Lehrer 5769,20 Euro im Monat bekämen, würden die Forderungen erfüllt. Er vergleicht zudem das Gehalt mit wissenschaftlichen Einstiegsgehältern (3464, 60 Euro) und warnt vor dem »Ungleichgewicht«, das da entstehe.
Da muss man schlucken. 5769,20 Euro sind kein Pappenstiel. Ich darf ja nicht über mein Gehalt reden, aber es ist, sagen wir mal, deutlich geringer. Das wird einigen Berlinerinnen und Berlinern so gehen. Der Trick ist nun, nicht in die Falle zu tappen, die der Senat aufgestellt hat, und zu denken: Die angestellten Lehrer sollen sich mal nicht so haben. Denn es ist eine Logik, die abhängige Beschäftigte seit jeher spaltet und höchstens andere reich gemacht hat: Wenn ich schon so wenig habe, dann sollen die anderen auch so wenig haben. Oder, weil sich das selbst in den eigenen Ohren sozialneidisch anhört: Die Lehrer sollen einfach zufrieden sein mit ihrer gesellschaftlichen Privilegierung und ordentlich zur Schule kommen, damit ich mein Kind abgeben kann, um mir selbst meinen miesen Lohn abzuholen.
Dieser Affekt ist fatal, und man muss von ihm absehen. Denn wer anderen das Streikrecht und die Forderung nach mehr Lohn abspricht, der spricht es auch sich selbst ab. Am Ende bleibt nicht nur weniger Lohn für angestellte Lehrer, sondern auch weniger Geld für mich.
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