Warten auf das Achtelfinale

Bislang fallen wenig Tore bei der EM, im Duell zwischen Deutschland und Polen gar keins

Ein Fußballspiel auf sehr hohem Niveau zeigten Deutschland und Polen – allein die Tore fehlten. Die dadurch zunehmende Diskussion über sein Spielsystem in der Offensive sollte Bundestrainer Joachim Löw aber ignorieren.

Wenn man Joachim Löw glauben darf, dann müssen sich die Fans noch etwas gedulden. In einer Woche, wenn die ersten Achtelfinalpartien anstehen, erst dann wird es bei der Europameisterschaft offensiveren Fußball zu sehen geben. »Dann müssen sich alle Mannschaften mehr öffnen«, sagte der Bundestrainer nach dem torlosen Remis der DFB-Elf am Donnerstagabend in Paris gegen Polen.

»Ein 0:0 ist ein hervorragendes Ergebnis«, resümierte der polnische Trainer Adam Nawalka. Das darf man nicht falsch verstehen. Zwar war er mit der Punkteteilung zufriedener als Löw. Aber das es gegen den Weltmeister ging, war noch lange kein Grund sich zu verstecken. Selbstbewusst sprach Nawalka davon, dass seine Mannschaft die Kontrolle darüber hatte, was auf dem Platz geschehen sei. »Es war ein weiteres Spiel, das wir genauso gespielt haben, wie wir uns es vorher ausgerechnet haben.«

Nach 18 Spielen sind bei dieser EM 34 Tore gefallen – im Schnitt also nicht mal zwei Treffer pro Partie. Der umstrittene Modus des Turniers, nach dem sich auch die vier besten Gruppendritten für die nächste Runde qualifizieren, trägt dazu bei. »Wir sind alle sehr glücklich über den Punkt. Er bringt uns in eine gute Lage für das Achtelfinale«, freute sich Polens Torwart Lukasz Fabianski nach dem Abpfiff im Stade de France. Mit jeweils vier Punkten führen Deutschland und Polen die Gruppe C an und haben gegen Nordirland beziehungsweise die Ukraine am kommenden Dienstag die Möglichkeit, sich in eine gute Ausgangsposition für den weiteren Turnierverlauf zu bringen.

Obwohl beide Mannschaften am Donnerstagabend die Torstatistik negativ beeinflussten, sahen die 73.648 Zuschauer eines der bislang besten Spiele des Turniers. Das technische und taktische Niveau war sowohl individuell als auch mannschaftlich auf beiden Seiten sehr hoch. Von zwei guten Mannschaften war die DFB-Elf die bessere: 63 Prozent Ballbesitz, 15 Torschussversuche und 89 Prozent der Pässe kamen dort an, wo sie es sollten.

Von den insgesamt sieben Torschussversuchen der Polen ließ die deutsche Mannschaft keinen einzigen so gefährlich werden, dass Manuel Neuer hätte eingreifen müssen. Und das, obwohl ihr mit Weltklassestürmer Robert Lewandowski und Arkadiusz Milik ein gefährliches Offensivduo gegenüberstand. Dementsprechend lobte Joachim Löw später auch die Abwehrarbeit: »Mit Defensive bin ich sehr zufrieden.« Jerome Boateng, der als Innenverteidiger bezeichnenderweise als Spieler des Spiels geehrt wurde, schloss sich an: »Wir haben als Mannschaft sehr gut verteidigt.« Dazu beigetragen hat auch der Einsatz von Mats Hummels, der nach seinem Muskelfaserriss wieder mitwirken konnte.

Die einzige Spielstatistik, die die Polen vorn sah, war die der zurückgelegten Laufstrecke. Insgesamt 112 Kilometer lief die polnische Mannschaft und damit drei mehr als ihr Gegner – weil sie es musste. Nur so konnte sie in der Abwehr immer wieder die Räume schließen, die sich die DFB-Auswahl mit ihrem schnellen Passspiel suchen wollte.

Die Diskussion über die Offensive und das System von Joachim Löw begann in den Medien schon nach dem ersten Gruppenspiel. Nach der Partie gegen Polen wird sie sicherlich weitergeführt, bestimmt noch intensiver. An der Abwehr gibt es ja auch kaum etwas zu kritisieren. Bei den Fans ist die Debatte jedenfalls schon angekommen. Wenn auch noch relativ verhalten, aber nach einer Stunde Spielzeit ertönten auf der Tribüne Rufe nach Mario Gomez. Wann hat es das zuletzt gegeben?

Zufrieden war Joachim Löw mit der Offensivleistung seiner Mannschaft auch nicht: »Das war nicht das, was wir erwarten können.« Dennoch sollte der Bundestrainer die Diskussion über sein Spielsystem einfach ignorieren. Nachdem mit Mario Gomez ab der 71. Minute ein echter Stürmer auf dem Platz stand, passierte kaum noch etwas. Bis dahin ließ Löw mit der falschen Neun spielen. Diese Rolle füllte 66 Minuten lang Mario Götze aus. Vor allem der 24-Jährige ist Ziel der Kritik. Weil es einfach ist, der Ruf eilte ihm zur EM schon voraus: Götze kam praktisch ohne Spielpraxis zur Nationalmannschaft. Weil er beim FC Bayern wiederholt nicht zum Zuge kam, gilt er vielen als gescheitert.

Dabei macht Mario Götze seine Sache in Frankreich gar nicht so schlecht. Das Zusammenspiel mit den Flügelstürmern und den zentralen Mittelfeldspielern funktioniert. Abstimmung und Verständnis sind noch verbesserungsfähig. Aber durch die ständigen Positionswechsel ist das Offensivspiel mit Götze sehr viel variabler und weniger ausrechenbar für den Gegner als beispielsweise mit Gomez. Götze erarbeitete sich gegen die stark verteidigenden Polen Torchancen, stand oft da, wo er stehen musste und arbeitete intensiv nach hinten mit.

»Im letzten Drittel des Spielfeldes haben wir nicht das Tempo erhöht, sondern raus genommen. Dann waren gleich wieder neun oder zehn Polen hinter dem Ball.« Wenn man diese Kritik von Joachim Löw einer Person zuschreiben wollen würde, dann eher Julian Draxler als Götze. Im Gegensatz zum Auftaktspiel gegen die Ukraine fehlten dem Wolfsburger am Donnerstagabend Ideen, Dynamik und Handlungsschnelligkeit.

Zuversicht vermittelte Joachim Löw nicht nur den Fußballfans, die bislang beim Turnier die Tore vermisst haben. Auch in eigener Sache machte er nach dem Spiel gegen Polen nicht den Eindruck, dass er von generellen Zweifeln geplagt ist. Nach der Regeneration bleibe genug Zeit, »das ein oder andere mehr zu trainieren, gerade in der Offensive«, beschrieb er den Fünf-Tages-Plan bis zum Spiel gegen Nordirland. »Wir werden uns steigern«, versprach der Bundestrainer.

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