Serbien gegen Albanien: Wenn Fußball zum Stellvertreterkrieg wird

Das politisch aufgeladene Spiel zwischen Serbien und Albanien wird von massiven Sicherheitsvorkehrungen begleitet

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 5 Min.
Danach gab es Gerangel: Der Serbe Stefan Mitrović schnappte sich 2014 die Flagge mit albanischen Symbolen, die an einer Drohne ins Stadion geflogen worden war.
Danach gab es Gerangel: Der Serbe Stefan Mitrović schnappte sich 2014 die Flagge mit albanischen Symbolen, die an einer Drohne ins Stadion geflogen worden war.

Es geht um Fußball, aber es wirkt wie Krieg. Wenn an diesem Samstag die Nationalteams von Serbien und Albanien in der WM-Qualifikation aufeinandertreffen, werden Hunderte Polizisten das Stadion sichern, darunter Scharfschützen, Zivilbeamte und Experten für Drohnen. Das Spiel findet nicht in der serbischen Hauptstadt Belgrad statt, sondern in der südlichen Kleinstadt Leskovac. Das Stadion fasst gerade mal 8100 Zuschauer. Tickets gehen an das Umfeld des Serbischen Fußballverbandes, nicht in den freien Verkauf. Einen albanischen Gästeblock wird es nicht geben.

Die Gastgeber und die Uefa wollen verhindern, dass sich ein Skandal aus dem Oktober 2014 wiederholen kann. Damals spielten Serbien und Albanien in der EM-Qualifikation gegeneinander. Vor dem Spiel in Belgrad warfen serbische Zuschauer Steine auf den Bus der albanischen Mannschaft, Proteste und Pfiffe übertönten ihre Hymne. »Tötet die Albaner!«, riefen serbische Fans, als in der 42. Minute eine Drohne mit einer Flagge über den Rasen flog. Darauf zu sehen: der Umriss von »Großalbanien«, wie es sich albanische Nationalisten wünschen.

Gerangel in Belgrad

Auf dem Spielfeld griff sich der serbische Verteidiger Stefan Mitrović die Flagge, albanische Spieler stürmten auf ihn zu. Es kam zu Handgreiflichkeiten auf und neben dem Rasen. Die Partie wurde abgebrochen und wirkte trotzdem lange nach: In der kosovarischen Hauptstadt Pristina feierten hunderte Fans das Spiel mit Autokorso und Feuerwerk. In den Grenzgebieten zwischen Serbien und Kosovo wurden Flaggen beider Länder angezündet. Auch in der Diaspora, in Wien und Berlin, gingen Männer mit serbischen und albanischen Wurzeln aufeinander los. Und ein geplanter Besuch des albanischen Premierministers Edi Rama in Belgrad wurde verschoben.

Seither gilt die Partie zwischen Serbien und Albanien als eine der brisantesten überhaupt. Fans auf beiden Seiten führen einen Jahrhunderte alten Konflikt auf dem westlichen Balkan fort. Im Zentrum steht der Kosovo, wo zu 90 Prozent ethnische Albaner leben. Bereits im sozialistischen Jugoslawien fühlte sich der Kosovo an den Rand gedrängt. Ende der 90er Jahre entfesselte der serbische Politiker Slobodan Milošević einen Krieg im Kosovo. Und noch heute will Serbien den Kosovo, seit 2008 unabhängig, nicht als Staat anerkennen.

Die Fans drücken ihren Nationalismus unterschiedlich aus. Immer wieder reisen Ultras von Roter Stern Belgrad nach Gračanica, in eine serbisch geprägte Enklave des Kosovo. Dort schwenken sie in der Nähe eines orthodoxen Klosters die Flagge von »Großserbien«. Und sie posieren mit der Statue von Miloš Obilić. Der serbische Ritter soll im 14. Jahrhundert einen osmanischen Sultan getötet haben. Belgrader Fans feiern sich als Verteidiger des christlichen Europas gegen »islamische Eindringlinge«. Gemeint sind: Albaner.

Provokation auf den Tribünen

Die albanischen Fans reagieren auf ihre Weise. Für viele von ihnen zählt nur eine Nation, die albanische. Nach ihrem Verständnis dehnt sich diese Nation auch auf jene Staaten aus, in denen albanische Minderheiten leben: in Serbien, Montenegro, Nordmazedonien und Griechenland. Immer wieder besingen albanische Fans bei heimischen Ligaspielen auch Kämpfer der UÇK, der »Befreiungsarmee des Kosovo«. Diese paramilitärische Terrororganisation hatte ab Mitte der 90er Jahre serbische Ziele attackiert.

Und diese Stimmung strahlt bis auf die größten Bühnen des Fußballs aus. Nach einem Vorrundenspiel der Europameisterschaft 2024 in Hamburg gegen Kroatien nahm sich der albanische Nationalspieler Mirlind Daku ein Megafon und rief zu den mitgereisten Fans: »Fuck Serbia!« Daku wurde für zwei Spiele gesperrt. Der serbische Fußballverband wiederum wurde im Dezember 2024 mit einer Geldstrafe belegt, nachdem Fans bei einem Spiel gegen die Schweiz versucht hatten, eine albanische Flagge in Brand zu setzen.

Vor diesem Hintergrund gilt es bei den Verbänden als Erfolg, dass das Hinspiel der aktuellen WM-Qualifikation zwischen Albanien und Serbien (0:0) ohne Ausschreitungen über die Bühne ging. Für die Partie im Juni in Tirana hatte der albanische Fußballverband keine Karten blockweise an Fangruppen verkauft. Stattdessen erhöhte er die Ticketpreise und wählte in einem Losverfahren aus 200 000 Bewerbungen aus. Viele albanische Ultras protestierten und verfolgten das Spiel bei einem Public Viewing. Dazu ein Banner an den Verband: »Nehmt uns unsere Tickets weg und schickt die Polizei. Aber ihr könnt das Herz, das für Albanien schlägt, nicht töten.«

Gemeinsames Turnier 2027

Ob zeitnah Entspannung möglich ist? Im Februar gab die Uefa bekannt, dass die U21-Europameisterschaft 2027 in Serbien und Albanien stattfinden soll, mit dem Eröffnungsspiel im serbischen Novi Sad und dem Finale in der albanischen Hauptstadt Tirana. Es war vor allem der Unternehmer Armand Duka, der auch Präsident des Albanischen Fußballverbandes ist, der die gemeinsame Austragung vorantrieb. Duka ist seit 2019 Mitglied des Exekutivkomitees, des höchsten Gremiums der Uefa.

Sportfunktionäre und Diplomaten aus beiden Ländern werten dieses Turnier als Zeichen der Annäherung, auch als Beitrag für die Wirtschaftsinitiative Open Balkan. Nationalistische Fangruppen drückten hingegen ihre Ablehnung aus. Mitglieder der albanischen Fanvereinigung Tifozat Kuq e Zi besprühten das Hauptquartier ihres Fußballverbandes mit roter Farbe. Zudem zeigten sie historische Fotos von serbischen Kriegshandlungen im Kosovo. Dazu die Botschaft: »Wir lehnen jede Zusammenarbeit mit den Mördern ab.«

Ob die Europameisterschaft in zwei Jahren tatsächlich stattfinden kann, hängt auch von der politischen Beziehung zwischen Serbien und Albanien ab. Das Rückspiel in der WM-Qualifikation zwischen beiden Nationen an diesem Samstag ist dafür ein Gradmesser.

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