»Konzessionen, so viel Sie wollen«

Erstmals in der ursprünglichen Fassung: Falladas Roman »Kleiner Mann, was nun?«

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 6 Min.

Am 24. September 1931 kündigte Rudolf Ditzen, der sich als Schriftsteller Hans Fallada nannte, seinem Verleger Ernst Rowohlt einen neuen Roman an, so lang wie sein letztes Buch »Bauern, Bonzen und Bomben«, rund dreihundert Druckseiten, die Geschichte eines »kleinen Angestellten ohne besondere Fähigkeiten«, abhängig von Mächten und Kräften, »die er nicht versteht«, eine Geschichte von Glück und Unglück, Geld- und Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Alltagsplagen und einem Kind, das es einmal besser haben sollte. Wochen später, am 29. Oktober, fragte Rowohlt schon: »Was macht der neue Roman?« Dann, am 1. Dezember, die Mahnung: »Ich beschwöre Sie, lieber Freund, nehmen Sie keinerlei Rücksicht bei der Abfassung Ihres Buches auf den Umstand, daß eventl. eine Buchgemeinschaft … oder die ›Berliner Illustrirte‹ oder sonst überhaupt eine Zeitung Ihren neuen Roman in Lizenz oder für den Vorabdruck erwirbt. Schreiben Sie, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist.«

Fallada, in bester Fabulierlaune und mit der Ermunterung des Verlegers im Herzen, schrieb, von kleineren Pausen abgesehen, schnell und leicht, arbeitete wie im Rausch, schaffte auch schon mal zwölf Seiten auf einmal, erzählte, wie Johannes Pinneberg, »ein Garnichts« mit hochfliegenden Plänen und miesem Einkommen, von Entlassung zu Entlassung taumelt und trotzdem die Illusionen nicht verliert, von Lämmchen, der liebenswerten, praktischen Ehefrau, und dem kleinen Murkel, erzählte von Apathie, Sorgen, der Sehnsucht nach Geborgenheit und wie man sich, so ausgeliefert und wehrlos, sein kleines Idyll schafft in dieser Welt der Unsicherheit und des Lebenskampfes. Am 19. Februar 1932, nach nur vier Monaten, war er fertig.

Freilich: Das Buch, das er ablieferte, gibt es, ungekürzt und ohne Retuschen, erst jetzt nach vierundachtzig Jahren, veröffentlicht vom Aufbau-Verlag, der unlängst schon (und mit enormem Erfolg) den Roman »Jeder stirbt für sich allein« in der ursprünglichen Fassung vorgelegt hat. »Kleiner Mann, was nun?« war im Juni 1932, als der Roman in die Läden kam, wesentlich schlanker. Es fehlten hundert Seiten, und außerdem hatte man bei Rowohlt im Manuskript heftig gestrichen und gemildert.

Die Courage, auf die sich Verleger und Autor verständigt hatten, war schnell vergessen. Fallada ließ nicht nur zu, dass man Seiten, Episoden, ja ein ganzes Kapitel eliminierte, er, ungeheuer ängstlich und kompromissbereit, half fleißig, alles, was auf Widerspruch, auch nur leises Stirnrunzeln stoßen könnte, zu ändern oder zu tilgen. Wenn er schreibe, hatte er seinem Verleger schon am 2. Dezember 1931 erklärt, »dann können mir sämtliche Buchgemeinschaften etc. … na ja, in diesem Sinne … Später, beim Umarbeiten, beim Zurechtschustern, da mach ich Konzessionen für das liebe Vieh, so viel Sie wollen, oder Verzeihung, so viel die wollen …«

Carsten Gansel hat in seinem instruktiven Nachwort penibel dokumentiert, welche Folgen dieses »Zurechtschustern« hatte, wie der Rotstift Passagen, Kapitelanfänge und Aussagen kappte, etwa die Schilderung des Berliner Nachtlebens mit älteren Prostituierten und Tischtelefonen, oder wie Falladas Sätze zuweilen ins Gegenteil verkehrt wurden. Mit harmlosen Straffungen, von denen der Rowohlt-Verlag 1950 behauptete, sie kämen dem Buch zugute, hatte das alles nichts zu tun. Diese Tilgungen, sagt Gansel, gingen an die Substanz des Romans, denn die entfernten Stellen liefern »ein genaueres Bild der Zeit, der Umstände, unter denen die Figuren agieren, oder sie geben zusätzliche Einblicke in ihr Denken, Fühlen und Handeln«. So entfiel ein Dialog Pinnebergs mit seiner Frau, der den Druck berührt, dem jeder an seinem Arbeitsplatz ausgesetzt ist. »Wie ‘ne Peitsche ist das ja«, sagt Lämmchen und fragt gleich, wen denn die Kollegen wählen wollen, »wenn’s zum Wählen geht«. Pinneberg weiß es nicht: »Wahrscheinlich Staatspartei und vielleicht die Sozen und ‘ne ganze Menge bestimmt die Nazis.« Lämmchen dankt und meint, sie wisse, was sie wähle. »Na - und was?« fragt Pinneberg. »Kommunisten?« Antwort: »Natürlich.«

Ähnliches geschah an einer Stelle, an der sich Pinneberg freundlich über Juden äußert. »Na, das sind doch hier noch olle richtige Juden«, heißt es da. »Feine Kerls sind das, kann ich dir nur sagen, richtige anständige Kerls, die sind noch stolz drauf, dass sie Juden sind.« Seine Worte »Feine Kerls sind das, kann ich dir nur sagen, richtige anständige Kerls« wurden aus dem Manuskript entfernt, und übrig blieb eine Mitteilung, der man einen antisemitischen Hauch nicht absprechen kann. Gekappt auch eine Passage, die die Gegnerschaft von Nazis und Kommunisten behandelt: »Ist man etwas dumm, dann geht man zu den Nazis und glaubt, irgendwas würde dadurch anders, wenn man die Juden totschlägt - und ist man gläubig und viel widerstandsfähiger und jede Stunde imstande, einen Lehmann anzukotzen …, dann geht man zur KPD und versucht es anders. Wenn es auch vielleicht schiefgeht, aber welche gibt es, die müssen sich wehren.«

Rowohlt ging’s aber nicht bloß darum, dem Buch die politischen Spitzen zu nehmen. Finanziell in schweres Fahrwasser geraten, brauchte er auf Biegen und Brechen einen großen Erfolg, und Fallada schien mit seinem Roman der sichere Garant. »Kleiner Mann, was nun?« sollte ein Bestseller werden, ein geschmeidiger Roman für alle, buchstäblich für jeden. Darum die zahllosen Eingriffe, die Änderungen auf fast jeder Seite, die Entschärfungen, die Verwässerung der sozialen und politischen Ansichten Pinnebergs und Lämmchens, die Ausmerzung von Beschreibungen und Dialogen, die irgendwo Anstoß erregen könnten. So fiel schließlich auch alles eindeutig Erotische und Sexuelle unter den Tisch.

Rowohlts Kalkulation ging auf: Das Buch, vorabgedruckt in der »Vossischen Zeitung«, danach noch von nahezu fünfzig Provinzblättern verbreitet, wurde Falladas größter Erfolg. Thomas Mann rühmte die »bittere Lebenswahrheit«, die in dem Buch steckt und bekannte, er habe seit langem nichts so »Liebenswertes« gelesen. Andere, Hesse, Musil, Wassermann, Zuckmayer, urteilten ähnlich, und die Leser bombardierten Fallada mit begeisterten Briefen und Fragen. Plötzlich, ganz unvorbereitet war er ein Autor auf dem Weg zum Weltruhm. Er hatte mit seiner Geschichte vom kleinen Mann im Millionenheer der Arbeitslosen, seinen Ängsten und seiner Ratlosigkeit, den Nerv der Zeit getroffen und, neben Döblins »Berlin Alexanderplatz« (1929) oder Feuchtwangers »Erfolg« (1930), eines der wichtigsten Bücher jener Jahre vorgelegt.

Weitere Änderungen allerdings wollte Fallada, nachdem der Roman gedruckt war, nicht zulassen. Am Angestellten Lauterbach, der schon in einer Kapitelüberschrift als Nazi charakterisiert war, hatte er in den Diskussionen mit dem Rowohlt-Lektorat lange festgehalten, doch dann kam Hitler, und nun wurde aus der Feststellung »Zu den Nazis war Lauterbach auch nur aus Langeweile gegangen« der Satz »Torwart war Lauterbach auch nur aus Langeweile geworden«. Aufregung bescherte dann noch einmal die Absicht, das Buch in den USA zu verfilmen. Fallada fürchtete, die Amerikaner könnten auf die Erstausgabe zurückgreifen und auch dem Nazi Lauterbach einen Auftritt verschaffen. Aber Ernst Rowohlt gab Entwarnung. Es sei völlig ausgeschlossen, habe man ihm versichert, dass in dem Film »irgend etwas vorkommen könne, das gegen die deutsche Regierung, gegen Deutschland oder gegen die nationalsozialistische Regierung im Besonderen gerichtet sei«. Und im Übrigen käme ein Lauterbach in dem Film überhaupt nicht vor.

Dass »Kleiner Mann - was nun?« 1932 arg entschärft wurde, weiß man schon lange. Günter Caspar, der den Roman 1962 in seiner Ausgabe der Gesammelten Werke im Aufbau-Verlag edierte, hat damals schon im Anhang Passagen zitiert, die offenkundig aus politischen Gründen unterdrückt wurden. Erst der Neudruck jedoch macht das Ausmaß der Veränderungen und Eingriffe deutlich. Zu danken ist die Ausgabe vor allem Mike Porath und Nele Holdack, die das in Sütterlin geschriebene, schwer lesbare, mitunter stenografisch anmutende Originalmanuskript aus dem Fallada-Archiv mühselig entzifferten (auch Fallada konnte seine Schrift nach eigenem Bekenntnis »nur mit Schwierigkeiten« lesen). Und Carsten Gansel hat nicht bloß über Entstehung und Resonanz des Romans informiert, sondern eingehend auch die Unterschiede zwischen Urfassung und Erstdruck analysiert.

Hans Fallada: Kleiner Mann - was nun? Ungekürzte Neuausgabe, Aufbau Verlag, 557 Seiten, geb., 22,95 €.

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