Russen reisen wieder in die Türkei
Präsident Putin zeigt weitere Entspannungsgeste Richtung Ankara / Sicherheit angemahnt
Der russische Präsident Wladimir Putin setzt weiter auf Entspannung im Verhältnis zur Türkei. So sollen behördliche Hürden gegen die Wiederaufnahme der Urlaubsreisen aus Russland in die Türkei fallen. Wie jetzt bekannt wurde, fand nach Bekanntwerden des blutigen Anschlags im Atatürk-Flughafen von Istanbul ein Telefongespräch mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan statt.
Putin beschränkte sich dabei auf die zurückhaltende Bemerkung, »es wäre wünschenswert, dass die türkische Regierung zusätzliche Schritte unternimmt, um die Sicherheit der russischen Bürger auf dem Gebiet der Türkei zu gewährleisten«. Meldungen zufolge haben die Präsidenten ein persönliches Treffen »von Angesicht zu Angesicht« vereinbart.
Bei dieser Gelegenheit stellte sich unter anderem heraus, dass Putins Sprecher Dmitri Peskow nach eigenen Worten studierter Türkologe ist und fließend türkisch spricht. Er versicherte, Erdogan habe sich in der Form entschuldigt, wie es von ihm verlangt wurde.
Dagegen glaubt der christlich-orthodoxe Philosoph Andrej Kurajew, dass es gar keine Entschuldigung war. Er habe türkische Muttersprachler zu Rate gezogen. Diese meinten, die von Staatschef Erdogan benutzte Redewendung lasse sich mit »Bitte tragt es mir nicht nach« übersetzen. Offenbar habe Putin vor der Wahl gestanden, die Entschuldigung umgehend anzunehmen oder sie ganz zurückzuweisen.
Alle haben bereits vergessen, was Putin von dem türkischen Kollegen verlangt hatte. Dieser habe sich entschuldigen, kondolieren und eine Wiedergutmachung zahlen müssen, heißt es jetzt. Erdogan sollte aber auch »glaubwürdige und aufrichtige Reue zeigen«, also sinnbildlich »angekrochen kommen«, sagt der Moskauer Journalist Orchdan Dschemal. Solche Forderungen würden etwa nach einem verlorenen Krieg gestellt. Im Fall des Konflikts um den Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei Ende November im Grenzgebiet zu Syrien seien sie klar übertrieben gewesen.
In Russland stehen im September die Parlamentswahlen an. Es gibt keine sichtbaren Proteste, die unterschwellige Unzufriedenheit der Bevölkerung ist aber groß. Zwar schmecken die türkischen Tomaten nach Wasser. Die marokkanischen, die nach dem Importverbot aus der Türkei an deren Stelle traten, sind in Moskauer Geschäften aber um 47 Prozent teurer. Das trifft auch für Zucchini, Paprika und sonstiges Gemüse zu.
Wie eine Studie der Höheren Wirtschaftsschule enthüllt, fühlen sich die meisten befragten Russen ärmer als bisher. Arm heiße, »es reicht fürs Essen, aber nicht für die Kleidung«. »Es reicht nicht mal mehr fürs Essen« wird als bettelarm empfunden. 40 Prozent der Befragten bezeichneten sich als »arm« und »sehr arm«. Sie können sich das teure marokkanische und afghanische Gemüse nicht leisten. Diese 40 Prozent werden die Wiederversöhnung mit der Türkei begrüßen.
Die Urlaubsreisen nach Griechenland oder Zypern kosten doppelt so viel wie die Billigreisen in die Türkei. Auch die zurückeroberte Krim kann mit ihr im Vergleich von Leistung und Kosten nicht mithalten.
Für viele Russen, die die Sowjetzeit kennen, hat die Türkei eine besondere emotionale Bedeutung. Als man das Ausland nur vom Bildschirm her kannte, gab es ein bekanntes Lied über Zugvögel, die dem Sommer nachfliegen. Ein Sowjetmensch bleibe dagegen für immer in seinem Land, hieß es darin. Er brauche »keine türkische Küste und kein fremdes Land«.
Nach der Wende in Russland stellte sich plötzlich heraus, dass die ehemaligen Sowjetbürger durchaus eine Sehnsucht nach der »türkischen Küste« hatten. Jedes Jahr flogen vier Millionen Russen dorthin. Sie könnten richtig böse werden, wenn das alte Lied wieder aktuell wird.
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