Klimaschutz mit Einheitswald aus dem Labor?

Brasiliens Aufforstungsplan will Regenwald und Klima mit Eukalyptuspflanzungen retten. Doch neue Studien belegen: Nutzwälder sind schlechte Kohlenstoffspeicher. Von Norbert Suchanek

  • Norbert Suchanek
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie eine ausgesuchte Elitetruppe stehen sie zu Tausenden in Reih und Glied. Exakt ausgerichtet und alle in derselben Größe. Eine uniforme, grüne Linie nach der anderen bis zum Horizont. Wer diese Eukalyptusforste als Wald bezeichnet, hat Wald noch nie gesehen. Für Unterholz und pflanzliche wie tierische Artenvielfalt gibt es weder Platz noch Nahrung.

«Grüne Wüste» haben deshalb brasilianische Umweltschützer diese Holzplantagen getauft, die erstmals in den 1960er Jahren großflächig in Rio de Janeiros Nachbarstaat Espirito Santo angepflanzt wurden und heimischen Atlantischen Regenwald auf Tausenden von Hektar ersetzten. Dank staatlicher Unterstützung stehen diese Elitetruppen von ursprünglich aus Australien stammenden Eukalyptus-Clonen als Lieferant von Zellstoff und Brennstoff heute in fast allen Teilen Brasiliens, von der südlichen Pampa-Region bis nach Amazonien: insgesamt 6,9 Millionen Hektar, so die Zahlen des brasilianischen Instituts für Geographie und Statistik (IBGE).

Im Vorfeld der jüngsten Klimakonferenz in Paris kündigte Brasiliens Ex-Regierungschefin Dilma Rousseff in Partnerschaft mit den USA als bilaterale Klimaschutzmaßnahme die Aufforstung von weiteren 12 Millionen Hektar Land bis 2030 an. Die Befürchtungen sind nun groß, dass dabei möglicherweise nicht nur konventionelle, sondern auch genetisch veränderte Eukalyptus-Clone die erste Wahl sein werden. «Es gibt einen großen Unterschied zwischen Wiederherstellung (restoration) und Aufforstung (reforestation)», erläutert die brasilianische Forstwirtschaftsexpertin Maria Fernanda Gebara von der London School of Economics and Political Science. Brasilien müsse die natürliche Vegetationsdecke, die vorher da war, wieder herstellen. Doch das Problem sei, dass die Aufforstungsprojekte nicht nur die Pflanzung industrieller Baummonokulturen beinhalte, sondern dass zudem nun selbst genetisch manipulierter Eukalyptus erlaubt sei.

Auf Betreiben von Brasiliens Zellstoffkonzern Suzano Pulp & Paper aus São Paulo gab Brasiliens Regierung unter Dilma Rousseff und ihrer Biosicherheitskommission bereits April 2015 dem Gentech-Eukalyptus den staatlichen Segen zum kommerziellen Anbau. Suzano hatte diese vom Biotechnik-Unternehmen FuturaGene in Israel entwickelte Baumart bereits seit 2006 im Versuchsanbau in Brasilien getestet. Auch gewalttätige Proteste vonseiten der Landlosenbewegung (MST) gegen die Gentech-Baumproduktion konnten diese nicht verhindern oder einschränken.

Der Gentech-Eukalyptus helfe dem Klima und dem Regenwald, denn er wachse um zwölf Prozent schneller und könne daher der Atmosphäre rascher Kohlendioxid entziehen, lobt indes FuturaGenes-Chef Stanley Hirsch sein Produkt. Die genmanipulierten Bäume bräuchten zudem weniger Fläche, um dieselbe Menge an Holz zu produzieren, was die Abholzung beziehungsweise den Druck zur Umwandlung von Naturwald in Plantagen verringere. Anne Petermann von der US-Umweltschutzorganisation Global Justice Ecology Project allerdings hält dies schlicht für «Greenwashing». Schneller wachsende Bäume bräuchten mehr Wasser und Nährstoffe, was langfristig Grundwasser und Bodenfruchtbarkeit schädige.

Der brasilianische Pflanzengenetiker Paulo Kageyama von Escola Superior de Agricultura Luiz de Queiroz (Esalq) fürchtet zudem um Brasiliens Honigabsatz. «Brasilien produziert etwa 40 000 Tonnen Honig pro Jahr, ein Großteil davon ist Bio-Honig.» Die von den Bienen gesammelten Pollen der Gentech-Bäume, in großem Maßstab angebaut, könnten Brasiliens Honig mit transgenem Material kontaminieren und damit dessen Wert auf dem Weltmarkt verringern.

Auch der erhoffte Klimaeffekt der Baumplantagen könnte nach hinten losgehen und die globale Erwärmung eher anheizen denn bremsen. Zu diesem Schluss kommen jedenfalls jüngste Klima- und Waldstudien aus den USA und Europa.

Bislang beschränkten sich die meisten Studien zu Wald und Klimawandel auf seine Funktion als potenzieller Kohlenstoffspeicher, um das Treibhausgas CO2 in der Atmosphäre zu reduzieren. Doch Wälder beeinflussen die globale Erwärmung auch auf andere Weise abhängig von ihrer Struktur. Forscher der Oregon State University, des US-Forest Service und der Pacific Northwest Research Station wiesen nun nach, dass alte Waldbestände, sprich artenreiche Ur- oder Primärwälder das lokale und damit auch indirekt das globale Klima stärker abkühlen als künstlich angelegte Holzplantagen. Naturwälder mit hoher Biomasse und unterschiedlicher, vertikaler Pflanzendeckung seien in Frühling und Sommer bis zu 2,5 Grad Celsius kühler als Forste mit einheitlicher Altersstruktur. Dieser lokale Temperaturunterschied entspräche just dem vom Intergovernmental Panel on Climate Change vorhergesagten globalen Temperaturanstieg in den kommenden 50 Jahren von 2,5 Grad Celsius, was die Wichtigkeit des Schutzes von alten Naturwaldbeständen unterstreiche, resümiert das Forscherteam.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine im Februar veröffentlichte Studie eines internationalen Forscherteams, geleitet vom französischen Laboratoire des Sciences du Climat et de l’Environnement und mit Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg. Das Team untersuchte die klimatischen Auswirkungen der Forstwirtschaft in den europäischen Wäldern seit Beginn der Industrialisierung.

«Wir stellten fest, dass es den europäischen Wäldern seit 1750 nicht gelungen ist, mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufzunehmen, als sie selbst freisetzen. Und das liegt am Waldmanagement, also am Einschlag von Holz», so die belgische Forscherin Kim Naudts vom Max-Planck-Institut. Grund: In den heutigen Fichtenmonokulturen und Forsten gebe es kaum noch Totholz, das langsam verrotten und CO2 über lange Zeit speichern könne. Stattdessen werde immer wieder Holz dem Wald entnommen und für Papier, Brennholz oder andere kurzlebige Güter verwandt, die nach der Nutzung wieder CO2 in die Atmosphäre abgeben.« Und dies ist das, was auch mit den Holzplantagen in Brasilien geschieht, die ja de facto in erster Linie zur Produktion von Zellstoff, Papier sowie Feuerholz und Holzkohle dienen.

Sogenannte Sekundärwälder, also Wälder in Lateinamerika, die sich nach der Abholzung von alleine ohne menschliches Zutun regenerieren, stehen im Zentrum einer weiteren Klimastudie der Universität von Connecticut und 60 im »2ndFOR Network« vernetzten Wissenschaftlern. Anstatt abgeholzte Flächen in Brasilien mit viel Geld und nicht einheimischen Baumarten aufzuforsten, schlagen sie vor, die Flächen sich selbst zu überlassen. Das sei eine der besten und billigsten Klimaschutzmaßnahmen. Die Forscher rechnen vor: Würde man die in Südamerika im Jahr 2008 auf 2,4 Millionen Quadratkilometer geschätzten, natürlich nachwachsenden Wälder sich selbst überlassen, so könnten sie innerhalb von 40 Jahren Lateinamerikas gesamte, fossile CO2-Emissionen der vergangenen 20 Jahre aufnehmen und in ihrer Pflanzenmasse speichern. Der Schutz dieser Sekundärwälder sei deshalb eine der billigsten und effektivsten Maßnahmen zum Abbremsen der globalen Erwärmung. »Diesem kostengünstigen Weg zur Regenerierung von Wäldern und zur Erreichung der Kohlenstoffreduktionsziele sollten Politiker, Nichtregierungsorganisationen und Internationale Abkommen mehr Aufmerksamkeit schenken«, resümiert Biologin Robin Chazdon, eine der leitenden Autorinnen der Studie.

Genau dies aber sieht das von Rousseff und Obama im vergangenen Jahr auf den Weg gebrachte brasilianisch-amerikanische Klimaabkommen nicht vor, sondern das Gegenteil: künstliche Aufforstung ehemals abgeholzter Flächen und damit Verhinderung der natürlichen Waldregeneration.

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