Werbung

Meister mit nur einer Hand

Fotograf Roland Krivec aus Bayern liefert trotz seines gelähmten linken Armes erstklassige Fotos von dieser Europameisterschaft

  • Matthias Koch, Lyon
  • Lesedauer: 5 Min.
Mehrere hundert Fotografen schicken ihre Bilder von der EM in alle Welt. Roland Krivec schafft die Arbeit mit nur einer Hand.

Bei der Europameisterschaft in Frankreich müssen akkreditierte Fotografen bis zu dreieinhalb Stunden vor Anpfiff ihre Matchtickets persönlich entgegennehmen. Roland Krivec sitzt aber noch viel früher in den Medienzentren der Arenen. Der 46-jährige Bayer mit österreichisch-jugoslawischen Vorfahren bearbeitet dann noch Fotos von den Spielen des Vortages. Der Freiberufler, der bei der EURO im Auftrag der Agentur DeFodi unterwegs ist, hat bislang neun Vorrundenpartien und drei Achtelfinal-Begegnungen in Szene gesetzt. Zwischen 300 und 400 Fotos pro Begegnung verschickt er während und nach den Duellen an seine Agentur in Dortmund - und die in die Welt: Zweikämpfe, Trainerstudien, Kickergesten, Fanaufnahmen.

Der Konkurrenzkampf ist groß. Große Agenturen wie Getty Images, Reuters oder dpa (in Zusammenarbeit mit epa) sind bei den Spielen mit bis zu fünf Fotografen am Start. Jede Spielszene dieser EM wird aus zig Perspektiven vom Spielfeldrand erfasst, von der Tribüne aus oder von ferngesteuerten, fest installierten Kameras. Spätestens fünf Minuten nach einem Tor, einer Roten Karte oder einer Verletzung treffen die ersten Fotos aus den EM-Stadien in den Zeitungs- und Onlineredaktionen ein.

Roland Krivec, der aus der Nähe von Landsberg stammt, ist also per se erst mal nichts Besonderes im riesigen Tross von Fotografen bei dieser Europameisterschaft. Wie viele genau es sind, war von der UEFA nicht zu erfahren, geschätzt sind 800 bis 1000 Bildjournalisten bei dieser EM dabei. Roland Krivec ist dabei der einzige unter ihnen, der nur mit einer Hand arbeiten kann. Sein linker Arm ist komplett gelähmt.

Krivec hält seine Behinderung für zweitrangig. »Beim Fotografieren geht es nicht um körperliche Voraussetzungen, sondern um den Qualitätsanspruch an sich selbst. Manch einer will Aktion fotografieren, kann oder will aber noch nicht mal ein Bild richtig beschneiden«, sagt Krivec.

Wer jedoch weiß, was Fotografen an Technik in Rollkoffern und Rücksäcken durch die Gegend schleppen müssen, kann die zusätzlichen Strapazen für Krivec auf den zahlreichen Treppen und in den endlosen Gängen in den Stadionkatakomben leicht erahnen. »Man hat viel Zeug dabei«, spielt er das herunter. Seine Hintertorkamera baut er ohne fremde Hilfe auf, indem er diese auf einen Kugelkopf klemmt.

Wäre indes nicht vor neun Jahren jener verhängnisvolle Motorradunfall in den Schweizer Alpen geschehen, würde Krivec in Frankreich nicht direkt an der Bande sitzen, sondern maximal als Zuschauer auf den Rängen. Sein Leben, das er zuvor fast 19 Jahre lang als Automechaniker und Werkstattleiter bestritten hatte, wurde damals mit einem Schlag auf den Kopf gestellt. »Ich bin mit einem anderen Motorradfahrer zusammengestoßen. Im Prinzip war die ganze linke Seite inklusive Schlüsselbein kaputt«, erinnert sich Krivec an den verheerenden Plexusausriss. Zwar wurde in einer zwölfstündigen Operation alles so gut wie möglich rekonstruiert. »Den linken Arm konnte ich jedoch von Beginn an nicht mehr bewegen.«

Es folgte eine halbjährige Rehabilitationsphase - und am Abschluss ein trauriger Befund: Die Ärzte teilten Krivec mit, dass sein linker Arm gelähmt bleibe. Eine Diagnose mit Folgen, denn ein Ausscheiden aus seinem Beruf war unausweichlich: Krivec konnte die reparierten Autos nicht mehr wie gewohnt selbst zur Kontrolle fahren. Fortan blieb er zu Hause und machte den Haushalt, Frau Sigrid ging arbeiten.

Die chronischen Schmerzen, die bis heute anhalten, machten Krivec anfangs stark zu schaffen. »Es gab eine Phase, in der ich nur auf der Couch lag. Ich hatte auf nichts Bock«, schaut Krivec zurück. »Die Ärzte versuchten es mit Alternativmethoden und autogenem Training. Aber es gibt nur ein Mittel, das wirkt: Man muss irgendetwas tun! Bloß nicht zu Hause sitzen!«

Krivec kaufte sich eine Kamera und zwei Objektive. Er fing an, seinen Sohn Felix beim Handball in Landsberg zu fotografieren. Er besuchte einen Volkshochschulkurs für Porträtaufnahmen und rüstete nach und nach technisch auf. 2009 wurden seine Fotos erstmals in einem Anzeigenblatt veröffentlicht. Krivec machte sich im Lokalsport in Landsberg schnell einen Namen. »Ich habe mir aber irgendwann gesagt, dass ich vielleicht gut genug bin, das noch professioneller zu machen«, erzählt Krivec. »Im Internet begab ich mich auf die Suche nach einer Agentur«

Mit Erfolg. Für »Sport Moments« besuchte er bald Bundesliga-Fußballspiele in München, Stuttgart oder Ingolstadt. Mit einem Presseausweis in der Tasche erhielt er selbst beim Rekordmeister Bayern München Dauerakkreditierungen. Im Mai 2015 wechselte er zur Agentur DeFodi. In deren Auftrag arbeitete er im Mai auch beim Europa-League-Finale in Basel und beim Champions- League-Endspiel in Mailand. »Die Teilnahme an der EM ist aber bislang das größte für mich«, sagt Krivec stolz.

Seinen Stammplatz hat Krivec zwangsläufig immer links hinter einem der Tore. Dann kann er mit der rechten Hand die kurze Optik greifen und räumlich nahe Spielszenen ablichten. Die lange Optik lehnt er dann an seinen Oberkörper, das Stativ klemmt er mit den Knien ein. Den Laptop muss er stets rechts neben sich positionieren. Nur bei Objektiven mit über 200 Millimetern Brennweite nutzt er ein Stativ. Den Rest schafft er einarmig.

Generell hat er mit Fehlbelastungen zu kämpfen. »Mit der linken Oberkörperseite mache ich ja nichts. Deswegen gehe ich jede Woche zur Physiotherapie. Alles was sich verbiegt, wird da einigermaßen gerade gebogen«, so umschreibt es Krivec.

Benachteiligt gegenüber anderen Fotografen fühlt er sich nicht. Die würden ihn als normale Konkurrenz ansehen, sagt Krivec. Probleme bekommt er nur, wenn schnelle Positionswechsel nötig sind oder außergewöhnlich starke Winde wie im Trainingslager mehrerer Erstligisten im Januar in der Türkei wehen. »Da wird es mit einer Hand schwierig«, sagt Krivec. Und lacht.

Bei der Europameisterschaft in Frankreich macht er im Kreis seiner Kollegen einen sehr ruhigen, aber selbstbewussten Eindruck. »Wenn ich die Arbeit nicht machen könnte, würde mich die Agentur nicht überall hinschicken«, sagt Krivec. Gefragt nach seinen Zielen, zögert er keine Sekunde: »Das EM-Finale am Sonntag in Saint Denis, und natürlich die Fußball-WM 2018 in Russland!«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal