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Leistungsempfänger stocken Miete selbst auf

40 000 Haushalte betroffen / Grüne fordern schnelle Erhöhung der Regelsätze bei Unterkunftskosten

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 2 Min.
Viele ALG-II- und Sozialhilfeempfänger müssen ihre Miete mit Geld aufstocken, das eigentlich für den Lebensunterhalt gedacht ist.

Seit 1. Juli 2015 gilt in Berlin die neue Aufwendungsverordnung Wohnen (AV-Wohnen). In ihr sind Regelsätze für die Kosten der Unterkunft festgelegt: Geld, das Empfängern von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe zugesprochen wird, um ihre Miete bezahlen zu können.

Mit höchstens 5,71 Euro pro Quadratmeter, die den Leistungsberechtigten für ihre Nettokaltmiete zustehen, lassen sich die Mieten in Berlin in der Realität jedoch nicht bestreiten. Diesen Zustand nennen die Grünen »unwürdig und gesetzwidrig«. Um diese These zu bestätigen, gaben sie eine Studie beim Stadtforschungsinstitut Topos in Auftrag.

Diese ergab, dass Leistungsberechtigte pro Quadratmeter etwa zwei Euro mehr zahlen müssten, als ihnen vom Amt zugesprochen wird. Der Regelsatz der Senatsverwaltung orientiert sich bisher am Mietspiegel, der jedoch deutlich unter dem liegt, was der Wohnungsmarkt tatsächlich fordert. So kommt es, dass fast 42 Prozent der leistungsberechtigten Haushalte mit ihrer Nettokaltmiete über der vom Senat festgelegten Obergrenze liegt. Ein Großteil der Betroffenen muss deshalb die Miete aus Geldern aufstocken, die eigentlich für den Lebensunterhalt gedacht sind. »Das ist ein erschreckendes Ergebnis«, sagt Sigmar Gude, Leiter von Topos.

Dies führe auf Dauer dazu, dass Betroffene an den Stadtrand oder in winzige Wohnungen umziehen müssen, sagt Katrin Schmidberger, Sprecherin der Grünen für Mieten und Soziale Stadt. Leistungsempfänger haben mit 27 Quadratmetern Wohnfläche im Durchschnitt zehn Quadratmeter weniger Raum zur Verfügung als andere Berliner, so das Ergebnis der Studie. Auch kommt es immer häufiger zu einer deutlichen Überbelegung der Wohnungen: In 15 000 Wohnungen gibt es zwei Zimmer weniger als dort lebende Bewohner. Das bedeutet, dass sich oft mindestens zwei Personen ein Zimmer teilen müssen, darunter sind 30 000 Kinder.

»Die AV-Wohnen ist ein Motor von Verelendung und sozialer Spaltung geworden«, sagt Schmidberger. Sie fordert daher eine Neuauflage der AV-Wohnen, in der die Richtwerte »realistisch und angemessen« sind. Bis dahin sollen Sanktionen und Umzugsforderungen aufgrund zu hoher Mietkosten ausgesetzt werden. Außerdem fordern die Grünen mehr Transparenz vom Senat. So könne die Senatsverwaltung beispielsweise keine Angaben dazu machen, wie viele Haushalte für die Deckung ihrer Wohnkosten draufzahlen müssen, sagt Gude. Laut der Topos-Studie sind es etwa 40 000, das entspricht 15 Prozent der Haushalte. Gude hält das Verhalten des Senats für eine »Vernebelungstaktik«.

Die Grünen gehen davon aus, dass die Mehrkosten für die Anhebung der Richtwerte jährlich bei 60 Millionen Euro liegen würden. Nach geltender Rechtslage zahlt das Land Berlin zwei Drittel, den Rest trägt der Bund. Derzeit beträgt der Etat für die Mieten der Berliner Leistungsempfänger 1,4 Milliarden Euro.

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