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Russen sollen Autos teilen lernen

In Moskau erlebt Carsharing gerade einen kleinen Boom

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Die eigenen vier Räder unter dem Allerwertesten - zu Zeiten der Mangelwirtschaft oft nicht mehr als ein schöner Tagtraum. Nach dem Ende von Sowjetmacht und Kommunismus ging er für viele in Erfüllung. Anfangs als Drandulet, Uralt-Schrott, der in Europa am TÜV gescheitert war. Später als Kleinwagen, den westliche Autobauer kostengünstig in Russland produzieren ließen. Man pflegte sein »Awto« voller Hingabe.

Bei dem Wort Carsharing sträubt sich den meisten Russen daher noch immer das Haar. Zwar wagten sich in Moskau und St. Petersburg die ersten Carsharing-Unternehmen schon 2013 auf den Markt, allerdings alle mit deutlich unter 100 Wagen. Im Dezember 2014 meldeten die ersten Firmen bereits wieder Konkurs an. Die Einnahmen waren komplett für Leasing, Versicherungen und Parkgebühren draufgegangen.

Delimobil legte im September in Moskau dennoch gleich mit 500 Wagen los. Anders als die Pleitiers, die bei Volkswagen und BMW leasten, setzt die Firma auf Modelle im unteren Preissegment. Schon zu Jahresende sollen es 1500 Fahrzeuge sein. Addiert man dazu, was bei der Konkurrenz rollt, könnten die zwölf Millionen Moskauer dann auf insgesamt 3500 Fahrzeuge zurückgreifen. Das ist in etwa so viel, wie den Carsharing-Kunden in Mailand mit seinen anderthalb Millionen Einwohnern zur Verfügung steht.

Carsharing, sagen Branchenexperten, ist ein knallhartes Geschäft. Für den Erfolg seien zwei Dinge ausschlaggebend: Kostenmanagement und flächendeckende Verfügbarkeit. Dazu müssten Carsharing-Firmen in Moskau mindestens 10 000 Wagen vorhalten. Delimobil will von dem Kuchen ein ganz großes Stück abbekommen, plant dazu Investitionen von rund einer Milliarde Rubel (14 Millionen Euro) und hofft auf Gottes Beistand.

Den der Mächtigen hat die Firma bereits: Moskaus Oberbürgermeister Sergei Sobjanin war Stargast bei der Firmenpräsentation. Delimobil wird inzwischen sogar auf der offiziellen Website der Stadtregierung erwähnt, die seit kurzem intensiv für Carsharing wirbt. Moskauer Verkehrsplaner hatten 2014 Mailand besucht und dort gelernt, dass Teilen glücklich macht. Carsharing sorgt für weniger Staus und Umweltbelastung.

Für Gemeinschaftsautos fällt daher nur noch ein Viertel der Parkgebühren an. Bis die Neuregelung in Kraft trat, hatten Car-sharingfirmen ausdrücklich untersagt, den Wagen auf kostenpflichtigen Parkplätzen abzustellen. Bei der Suche nach Alternativen war daher Kreativität gefragt, vom nächsten Nutzer beim Aufspüren und Ausparken ebenfalls.

Noch wichtiger als der heiße Draht zu den Stadtvätern ist die Kreml-Connection von Delimobil. Hauptaktionär ist Vincenzo Trani, der Präsident der italienischen Sambo-Föderation. Der asiatische Kampfsport hat auch in Russland viele Fans, darunter Wladimir Putin. Mit Wassili Schestakow, Ex-Trainer des Kremlchefs, Duma-Abgeordneter und Präsident des Sambo-Weltverbandes, soll der Italiener seit 2001 befreundet sein, seit 2008 investiert er in Russland. Seine Finanzholding soll bereits 600 Millionen US-Dollar eingesammelt haben.

Zwar schien die Delimobil-Erfolgsgeschichte schon vorbei zu sein, bevor sie richtig begann. Ende Mai berichteten Medien empört, ein Kunde habe nach einem Totalschaden 600 000 Rubel (8500 Euro) zahlen müssen. Die Negativschlagzeilen, heißt es jedoch bei Delimobil, seien Gratiswerbung gewesen: Neuanmeldungen hätten danach »explosionsartig« zugenommen.

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