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Migräne besser verstehen und behandeln
Im Juni startet das bisher größte Projekt zur Versorgung von Migränepatienten
Etwa 54 Millionen Menschen in Deutschland leiden an vorübergehenden oder anhaltenden Kopfschmerzen. Insofern ist ein eigener Fachkongress für diese Krankheitsgruppe naheliegend: Er findet in dieser Woche in Köln statt. Besonderes Thema im Austausch verschiedener Facharztgruppen ist diesmal unter anderem die Migräne.
Der starke, meist einseitige Kopfschmerz, der mit Übelkeit verbunden sein kann, trifft acht bis zehn Millionen Menschen hierzulande. Migräne ist damit eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen in Deutschland. Die Einschränkungen im Alltag können durch die periodisch wiederkehrenden Attacken sehr stark sein. Ein großer Teil der Betroffenen wird entweder nur ansatzweise von Hausärzten behandelt oder versucht, kritische Tage in eigener Regie und mit frei verkäuflichen Schmerzmitteln zu überstehen.
»Oft bleibt in der Sprechstunde keine Zeit, mit den Patienten ausreichend über nicht medikamentöse Optionen zu reden, und auch andere Fragen bleiben offen.«
Ruth Ruscheweyh Neurologin
Ein neues Projekt der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) soll ab diesem Sommer helfen, Lücken in der Versorgung zu schließen. Das wäre auch deshalb sinnvoll, weil eine Chronifizierung der Schmerzen oft mit Begleiterkrankungen (sogenannte Komorbiditäten) verbunden ist, darunter vor allem Depressionen und Angststörungen. Und Patienten erhalten nicht immer die in vielen Fällen am besten wirksamen Triptane, erläutert Ruth Ruscheweyh von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Diese Medikamente sind für die Akutbehandlung von Migräne und Cluster-Kopfschmerzen vorgesehen und stehen seit Ende der 90er Jahre zur Verfügung. Im Gegensatz zu anderen Schmerzmitteln sind sie mit wenigen Ausnahmen verschreibungspflichtig.
Das ist aber nur ein Teil der Therapiemöglichkeiten. »Oft bleibt in der Sprechstunde keine Zeit, mit den Patienten ausreichend über nicht medikamentöse Optionen zu reden, und auch andere Fragen bleiben offen«, berichtet Ruscheweyh. Denn häufig helfen Ausdauersport und Methoden der Stressreduktion, die Anfälle zu mildern oder die Abstände dazwischen zu verlängern.
Das neue Projekt setzt deshalb auch auf eine umfassende Patientenschulung: Ein spezielles Internetportal wird kurze Video- und Audiosequenzen zur Krankheit und den Behandlungsmöglichkeiten anbieten. Darunter sind auch Übungen für die Entspannung von Nacken und Halswirbelsäule sowie psychologische Hinweise, wie etwa mit der Angst vor der nächsten Attacke umgegangen werden kann. Alle zwei Wochen soll es Online-Veranstaltungen geben, bei denen die Nutzer jeweils einen Experten genauer befragen können.
Zu einer guten Vorbereitung für den Arztbesuch gibt es bereits jetzt in der DMKG-App einen Kopfschmerzkalender (auch in einer ausdruckbaren Version auf der Webseite www.dmkg.de). Ein umfangreicher Anamnesebogen zu Vorbehandlungen und Begleiterkrankungen soll folgen. Dieser kann den Patienten dann von Fachpersonen vor dem Arzttermin zur Verfügung gestellt werden.
Die Daten aus der App gehen auch in das zugehörige Kopfschmerzregister ein. Zu diesem erhalten die behandelnden Ärzte Zugang jeweils für ihre Patienten. Sie können so Gesprächstermine besser vorbereiten. Im Register finden Mediziner auch Empfehlungen aus fachlichen Leitlinien.
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Die bereits vorhanden App hat inzwischen schon 40 000 Nutzerinnen und Nutzer. Eine Erkenntnis, die sich aus deren Daten gewinnen ließ, besagt, dass etwa 13 Prozent der mit Triptanen versorgten Patienten diese nicht gut vertrugen oder nicht darauf ansprachen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass es auch weiterhin Bedarf an neuen Wirkstoffen gibt. Am Ende will die DMKG mit dem Projekt konkrete Ziele erreichen: Je Patient soll die Zahl der Migräne- und auch der Schmerzmitteltage je Monat durch die verschiedenen Hilfestellungen reduziert werden. Bis jetzt haben sich Projektpartner unter anderen von Universitäten in Greifswald, Rostock und Dresden sowie von den Krankenkassen Barmer und AOK Bayern angeschlossen.
Gefördert wird das Projekt durch den Innovationsfonds der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit mehr als fünf Millionen Euro. Das heißt aber auch, dass die Angebote nur bei erfolgreichem Verlauf (und vermutlich nach Kassenlage) in die Regelversorgung eingehen werden, wo sie allen gesetzlich Versicherten zugänglich sind. Alternativ könnten einzelne Kassen die Inhalte in einem Selektivvertrag bereitstellen.
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