Pokémon: Entwickler wollen Datenschutzbedenken zerstreuen

Warum hat die Spiele-App Zugang zum gesamten Google-Konto? / Hype um Smartphone-Variante des Spiels hält an / Börsenwert von Nintendo gestiegen

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Das Spiel »Pokémon Go«, das seit einigen Tagen in den USA auch für Smartphones verfügbar ist, hat Begeisterung bei Kunden ausgelöst und den Börsenwert des Herstellers Nintendo auf einen Schlag um umgerechnet gut fünf Milliarden Euro steigen lassen. Doch dann kam die kalte Dusche: Einem IT-Experten fiel auf, dass die App den Zugang zum gesamten Google-Konto anforderte. Die Entwickler versichern nun zwar, sie hätten keine Daten außer Namen und E-Mail-Adressen gesehen. Doch die Zweifel bleiben.

Der IT-Experte Adam Reeve hatte in einem Blogeintrag am späten Montag gewarnt, die Erlaubnis zum »vollen Zugang« öffne einer App im Prinzip den Zugang zum gesamten Google-Profil. Und viele Nutzer haben bei dem Internet-Konzern E-Mails, Kontakte, Kalender sowie zum Teil auch Ortsinformationen gespeichert. Typischerweise haben nur Googles hauseigene Apps einen so breiten Zugang, um Dienste miteinander zu verzahnen. Niantic ist eine frühere Google-Tochter.

Das Spiel greife nicht auf den gesamten Inhalt des Google-Profils zu, sondern rufe »nur die Grund-Informationen zum Profil ab (konkret den Benutzernamen und die E-Mail-Adresse)«. Auch würden »keine anderen Informationen aus dem Google-Konto werden oder wurden genutzt oder gesammelt«, erklärte die Entwicklerfirma Niantic Labs in der Nacht zum Dienstag US-Medien. Google habe dies bestätigt. Zugleich räumte Niantic ein, dass die »Pokémon«-App tatsächlich im Hintergrund den »vollen Zugang« zu Google-Profilen angefragt habe. Das sei durch einen Fehler passiert. Google reduziere die Zugriffsmöglichkeiten für das Spiel von seiner Seite aus.

»Pokémon Go« war übers Wochenende in den USA zum Hit geworden. In der App werden die populären »Pokémon«-Figuren auf dem Smartphone-Bildschirm in reale Umgebungen eingeblendet. Man kann sie suchen und sammeln. Anmelden kann man sich bei dem Spiel derzeit nur mit dem Google-Login oder dem »Pokémon Trainer Club«. Das Spiel ist bisher offiziell nur in den USA sowie Australien und Neuseeland verfügbar. Nintendos Pokémon Company und Niantic mussten wegen des Ansturms von Spielern die internationale Markteinführung bremsen. In den nächsten Tagen solle das Spiel aber auch nach Europa kommen, berichtete das »Wall Street Journal«.

Der Pokemon-Hype reicht schon für die ersten spektakulären Anekdoten. So hätten vier Jugendliche im Bundesstaat Missouri an einem der sogenannten »Poke-Stops«, an denen man Monster-Fallen in Form eines rot-weißen Balls nachladen kann, Spielern aufgelauert und sie mit vorgehaltener Waffe ausgeraubt, berichtete die lokale Polizei bei Facebook. Außerdem klagte ein Mann sein Leid in Online-Netzwerken, nachdem sein Haus versehentlich als Poke-Stop markiert worden war. Und schon am Samstag fand eine 19-Jährige auf der Suche nach den »Pokemon« eine Leiche in einem Fluss im US-Bundesstaat Wyoming, wie das Portal »County 10« berichtete. Ein Bericht über einen von »Pokemon Go« ausgelösten Verkehrsunfall erwiesen sich hingegen als Fake. Auf Twitter wurde vorgeschlagen, bei der Präsidentenwahl in November seltene »Pokemon« in Wahllokalen zu platzieren, damit dort mehr Leute aufkreuzen.

Die »Pokemon«, gestartet vor 20 Jahren, hat sich für Nintendo zu einem Dauerbrenner mit einer weltweiten Gemeinde aus Millionen Fans entwickelt. Wie in den traditionellen Spielen kann man die »Pokemon« mit Namen wie Pikachu, Rattfratz oder Bisasam gegeneinander in Kämpfen antreten lassen. Allein in der App kann man aktuell 96 »Pokemon« einsammeln, insgesamt gibt es hunderte.

Für den Konzern Nintendo ist der Erfolg des Spiels auf dem Handy ein fulminanter Befreiungsschlag. Der Videospiele-Pionier ignorierte lange den Markt der Smartphone-Apps und verkaufte die Games mit seinen beliebten Figuren wie Super Mario, Donkey Kong oder eben die »Pokemon« nur für eigene Spielekonsolen. Die Verkäufe der relativ erfolglos gebliebenen Fernseher-Konsole Wii U und der mobilen 3DS sinken aber. Gleichzeitig verbringen die Leute immer mehr Zeit mit den günstigen bis kostenlosen in Smartphone-Spielen - und die freie Tage am Tag ist auch begrenzt.

Branchen-Analysten hatten schon lange darauf gedrängt, Nintendo solle endlich seine Figuren auf Smartphones bringen. Der japanische Traditionskonzern hatte jedoch Angst, damit seine Erlöse aus Spieleverkäufen abzuwürgen. Denn bei Smartphone-Apps hat sich das Modell durchgesetzt, dass die Games sehr günstig oder kostenlos sind - und das Geld wird dann so gut es geht über den Verkauf virtueller Artikel verdient.

Das Geschäftsmodell mit In-App-Käufen klappt so richtig gut nur bei den wenigen Top-Hits. Und während Nintendo sonst gewohnt ist, 30 bis 60 Euro pro Spiel einzunehmen, kostet auch »Pokemon Go« für Android und iOS zunächst einmal nichts. Dafür muss man dann zum Beispiel für einen Sack mit 1200 Pokemünzen - der Währung in der App - 9,99 Euro berappen. Und nützliche Utensilien kosten dann - zum Beispiel 100 Pokebälle zum Fangen der Monster 460.460 Münzen. Wie ertragreich das sein wird - und wie lange die »Pokemon«-Euphorie bei den Smartphone-Nutzern anhält - muss sich noch zeigen.

Die Anleger, die Nintendos Aktien in den vergangenen Monaten aus Sorge um die Zukunft der mehr als 125 Jahre alten Firma immer tiefer drückten, atmeten aber jetzt schon auf. Der Kurs schoss am Montag um fast ein Viertel hoch. Nintendo war damit auf einen Schlag umgerechnet gut fünf Milliarden Euro mehr wert. Agenturen/nd

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