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Viel Schlager, keine Vermittlung

Berlin Queer Days am Potsdamer Platz erstmals Teil schwul-lesbischer Feierlichkeiten

  • Melanie Götz
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Veranstalter der Berlin Queer Days wollen eine »Regenbogenbrücke« zwischen Motzstraßenfest und Christopher Street Day. Besucher können mit Queers nicht viel anfangen - auch, weil die Vermittlung fehlt.

Wie eine Kirmes in klein mutet der bunte Budenplatz vor dem Bahnhof Potsdamer Platz an. Vereinzelt durchqueren Passanten den Ort: Familien, Touristen, Geschäftsleute. Etwa 50 Besucher verweilen zwischen Zuckerwatte, Crêpe-Stand und Getränkeausschank oder nehmen an einem der Biertische Platz.

»So, wo haben wir hier denn queere Leute am Start?« fragt von der Bühne ein Radiomoderator stimmungsheischend ins verstreute Publikum. Zwei schwule Männer geben sich aus der überschaubaren Menge per Handzeichen als Teil der Regenbogen-Community zu erkennen, ansonsten blicken die Gesichter der Gäste fragend zurück. Es ist kein Heimspiel für den Moderator - und das bei einer Veranstaltung, bei der sich dem Namen nach eigentlich viele Lesben, Schwule, Transgender, Intersexuelle und andere Queere (kurz: LSBTIQ) tummeln sollten. Doch an diesem frühen Montagabend ist für den Moderator der ersten Berlin Queer Days nicht viel zu holen.

Seit vergangenem Freitag wird am Potsdamer Platz zum ersten Mal ein »zehntägiges Open Air« gefeiert, heißt es in der Selbstbeschreibung der Berlin Queer Days. Täglich gibt es von 12 Uhr bis 22 Uhr Programm, mit Liveauftritten tagsüber und DJs am Abend. Zur Unterhaltung kommen Stars und Sternchen aus Schlager und Pop, die sich aus Casting- und Talentshows wie »Deutschland sucht den Superstar« oder »The Voice« sowie aus der lokalen Queer-Szene rekrutieren. Zwischen den Auftritten läuft Musik vom Radiosponsor, außerdem werden kleine Gewinnspiele auf der Bühne veranstaltet.

Als ein weiteres Fest der queeren Festival-Saison sollen die Berlin Queer Days erstmals eine Klammer sein - oder »eine Regenbogenbrücke«, wie der Moderator nicht müde wird zu betonen - zwischen dem lesbisch-schwulen Stadtfest in der Motzstraße vom vergangenen Wochenende und der großen Christopher-Street-Parade am kommenden Samstag. Diese beiden Großveranstaltungen sind seit gut zwei Jahrzehnten Teil der sogenannten Pride-Saison, in der weltweit LSBTIQ-Aktivisten sichtbar für ihre Rechte demonstrieren.

»Zusammen. Stehen. Grenzenlos!« lautet entsprechend das Motto der Berlin Queer Days. Sinn von Motto und Veranstaltung bleiben dennoch weitgehend diffus. Es seien alle unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder »Herkunft« willkommen, heißt es in der »Festival«-Ankündigung, man beziehe »deutliche Position gegen Homo-/Transphobie und Gewalt gegen uns«. Im zehntägigen Unterhaltungsprogramm finden sich jedoch lediglich zwei Diskussionsrunden, eine davon am Freitag zum Thema »Öffnung der Ehe und Out am Arbeitsplatz« mit den offen schwulen Politikern Klaus Lederer (LINKE) und Alfonso Pantisano (Grüne).

Veranstalter und Programmgestalter sind zwei Eventmarketingagenturen, finanziert wird das Ganze von kommerziellen Sponsoren aus dem eher schwul geprägten Teil des Szeneparty-Spektrums, die sich selbst als »die großen Party-Labels Berlins« bezeichnen.

Zur Ortswahl sagen die Veranstalter: »Der Potsdamer Platz gehört mit täglich 100 000 Besuchern zu den meist-frequentierten öffentlichen Plätzen. Uns ist es wichtig, hier queere Themen zu platzieren und zu kommunizieren.« Das Programm an diesem Ort sei konzeptionell so gestaltet, dass »Menschen, die sonst keine Berührungspunkte mit der queeren Szene haben« mit eben dieser Szene in Kontakt kommen. Dafür fehlen allerdings die Ansprechpartner und Informationen, die queere Themen, Gruppen oder Initiativen vorstellen könnten. »Wen wollen die Veranstalter hiermit denn eigentlich abholen?«, fragt dann auch eine lesbische Festbesucherin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Neben dem gastronomischen Angebot der zahlreichen Stände gibt es tatsächlich nur einen einzigen Infostand auf dem ganzen Areal - den einer Berliner Castingagentur. Außer den Bannern mit dem Schriftzug »Berlin Queer Days« und einzelnen Regenbogenfahnen verweist nichts auf den Community-Charakter der Veranstaltung.

Eine Vierergruppe junger, heterosexueller Touristen aus Israel, die an einem der Biertische sitzt, erklärt auf Nachfrage höflich, man sei eher zufällig hier vorbeigekommen. Man wisse aber, dass es sich um ein queeres Fest handelt: »Das ist ganz nett hier«. Als die dann zweite Schlagersängerin an diesem Abend zu einem weiteren Song ansetzt, wendet sich jedoch auch die Gruppe israelischer Touristen wieder ihren Bieren und ihrem nur kurz unterbrochenen Gespräch zu.

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