Haiti stellt auf Anfang zurück

Nach den dubiosen Präsidentschaftswahlen im vergangenen Herbst werden für 9. Oktober umfassende Neuwahlen angesetzt

  • Hans-Ulrich Dillmann,
Santo Domingo
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach der Annullierung der Präsidentschaftswahlen im Vorjahr in Haiti werden die Wahlberechtigten am 9. Oktober erneut zu den Urnen gerufen.

Haitis Interimspräsident prescht vor: Jocelerme Privert hat ein Dekret in Port-au-Prince unterzeichnet, mit dem dem Machtvakuum in Haiti alsbald ein Ende gesetzt werden soll. Ohne demokratisch legitimierte Wahlen sei die politische Krise in Haiti nicht zu lösen, betonte der 63-jährige frühere Vorsitzende des Senats. Er hatte im Februar dieses Jahres das höchste Staatsamt provisorisch übernommen, nachdem kein Nachfolger für den scheidenden Michel Martelly gewählt worden war.

Die sogenannte Kahlkopfpartei von Ex-Präsident Michel Martelly lehnt Neuwahlen ab. Bei den Wahlen im Oktober sollen nicht nur das Amt des Staatschefs, für das sich bereits jetzt 27 Kandidaten bewerben, sondern auch teilweise neue Parlamentsmitglieder gewählt werden. Privert betonte in einer Ansprache an die Nation vergangene Woche, dass es Zeit sei, »ein für alle Mal der unendlichen Wahlkrise ein Ende zu setzen«. Die Wahlen seien eine große, »aber unvermeidliche Herausforderung« für die »politische und demokratische Zukunft« des Landes. »Unter keinen Umständen dürfen wie dies verpassen.« 5,8 Millionen Haitianerinnen und Haitianer sollen fast auf den Tag genau ein Jahr nach den inzwischen annullierten Wahlen erneut über ihren Staatspräsidenten sowie neue Parlamentsmitglieder abstimmen.

Schwierig dürfte das Unterfangen vor allem durch die Ankündigung der USA werden, die Durchführung der Wahl nicht mitzufinanzieren. Die Obama-Administration hat sogar teilweise Hilfsgelder, die für die Wahlen über die UN zur Verfügung gestellt worden waren, zurückgefordert. USAID hat angekündigt, ihre Projekte im Armenhaus Lateinamerikas einzustellen.

Etwa 80 Millionen US-Dollar hatten die ausländischen Geldgeber für die Wahlen 2015 an die Regierung überwiesen, knapp drei Viertel sind ausgegeben. Sowohl die USA als auch die Europäische Union lehnen trotz der bekannt gewordenen Manipulationen neue Wahlen ab. Es sei nur zu Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung gekommen, hieß es. Der neue haitianische Wahlrat hatte dagegen bei einer Überprüfung falsche, mehr gezählte als abgegebene Stimmzettel entdeckt. Sogar beim Erdbeben 2010 Gestorbene hatten ihre Stimme abgegeben.

Die Vereinten Nationen und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) haben ihre ablehnende Haltung zu einer Wahlwiederholung inzwischen aufgegeben. Die OAS begrüßte auf einer von Haiti einberufenen Sitzung die Beschlüsse der Interimsregierung zu Neuwahlen. Auch die Karibikgemeinschaft CARICOM hat durch ihre OAS-Mitglieder signalisiert, dass sie Haiti unterstützen wird, bei dem »Weg, ihre Demokratie und ihre Wahlinstitutionen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Völkerrechts und der Charta der OAS zu stärken«, betonte der Bahamas-Botschafter Eliston Rahming, Vorsitzender des permanenten OAS-Rates.

Antworten auf die Frage, wie der Urnengang finanziert werden soll, sind allerdings OAS und CARICOM bisher schuldig geblieben. Auch Priverts Vorstellungen zur Finanzierung der Wahlkosten im Oktober in Höhe von rund 55 Millionen US-Dollar sind reichlich nebulös. Senatoren hätten sich bereit erklärt, auf ihre Apanagen zu verzichten und das Geld dem Conseil Electoral Provisoire (CEP), dem provisorischen Wahlrat, zu spenden, verkündete Privert. Er forderte die Bevölkerung und den Privatsektor gleichzeitig auf, ihren Beitrag zur Finanzierung der Wahlen zu leisten. Ein wohl sinnloses Unterfangen, die Mehrheit der Unternehmerschaft stützt die Kahlkopfpartei, die jede Neuwahl ablehnt. Und knapp 60 Prozent der Bevölkerung lebt an und unter der Armutsgrenze von rund einem US-Dollar am Tag.

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