Wir sind Amok!

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«Ich bin sehr für Rache, sie darf nur nicht sein» (Jan Philipp Reemtsma). Der Grad dieser selbst auferlegten Gewaltbeschränkung, auf dem wir täglich wandeln, ist jedoch schmal. In dem Film «Falling Down - Ein ganz normaler Tag» platzt dem Angestellten William Foster (Michael Douglas) der Kragen und er beginnt einen blutigen Amoklauf quer durch die ganze Stadt. Auslöser ist eine nervige Fliege, die an einem schwül-heißen Sommertag einfach nicht aus seinem Auto verschwinden will. Noch dazu steht er im Stau.

Halten wir kurz inne: In der vergangenen Woche gab es zwei Attentate, die von Menschen aus dem islamischen Kulturkreis verübt wurden, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Bei diesen Anschlägen gab es einen Toten (den Attentäter) und mehrere, teils schwer Verletzte. Das ist schlimm, hält aber manche Vertreter der Medienzunft nicht ab, mit Schlagzeilen wie «Blutwoche in Deutschland: Wie werden Flüchtlinge kontrolliert?» («Bild») gewissenlos Panik zu schüren. Nochmal zum Abkühlen des Gemüts: Der Amoklauf in München war kein terroristischer Anschlag und der Täter auch kein Flüchtling, sondern ein Deutscher iranischer Herkunft.

Es schien dieser Tage, als würde die Branche, deren Angestellte man nur mit viel Selbstverleugnung als dem Beruf des Journalisten zugehörig bezeichnen kann, mit einem gewissen nationalen Stolz auf das Vorgefallene blicken. Ebenfalls die «Bild» titelte: «Amok! Terror! Die Welt spricht über unsere Woche der Angst». Man liegt wohl nicht daneben, wenn man mutmaßt, dass die Schlagzeile nach einem Titel-Gewinn der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der vor Kurzem zu Ende gegangenen Europameisterschaft in Frankreich ähnlich gelautet hätte: «EM-Titel» Die ganze Welt spricht von unseren Fußball-Helden«. Aber immerhin: Auf »Wir sind Amok!« hat man bei Springer dann doch verzichtet.

Wir wollen es an dieser Stelle aber versöhnlich ausklingen lassen und angesichts der vielen hyperventilierenden Alarmtexte aus den unterschiedlichsten politischen Lagern, in denen in den vergangenen Tage der Bundeskanzler vorgeworfen wurde, das Volk mit ihrer »Wir schaffen das«-Rede eingelullt und gefährdet zu haben, mit folgendem Hinweis schließen: Angesichts der vielen potenziellen Terroristen, die in Deutschland unterwegs sind, können wir uns glücklich schätzen, dass es vergleichsweise wenig Amokläufe gibt - die meisten Autofahrer halten sich an die Verkehrsregeln. jam Foto: imago/EntertainmentPictures

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