Kampf um Wasser und Brot

Assads Armee hat das syrische Aleppo komplett abgeriegelt und kündigt »Korridore« an

  • Karin Leukefeld, Nikosia
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Fokus des syrischen Krieges liegt auf der Stadt Aleppo. Strategisch und politisch wird sie zur entscheidenden Verhandlungsmasse.

»Ohne eine militärische Entscheidung in Aleppo wird es keine brauchbaren Gespräche in Genf geben«, zeigte sich ein UN-Militärberater in Damaskus überzeugt, als syrische Delegationen und internationale Medienvertreter sich Ende Januar 2016 auf den Weg zum Genfer See machten. Die jüngsten Ereignisse um Aleppo scheinen das zu bestätigen.

Am Mittwoch hatte das Oberkommando der Syrischen Streitkräfte erklärt, die letzten Versorgungsrouten der bewaffneten Gruppen eingenommen zu haben. Der Nachschub an Kämpfern, Waffen und Munition sei gekappt, die Bevölkerung von Aleppo solle die Armee bei der Beendigung der Kampfhandlungen unterstützen. Alle Kämpfer, die bereit seien, ihre Waffen abzugeben, könnten die Stadt verlassen oder - nach Überprüfung - bleiben. Nationales Interesse müsse über alles andere gestellt werden, so die Armee, die Menschen sollten zur Vernunft kommen.

Die militärische Abriegelung der Stadt stoppt zwar Kämpfer und Waffen, doch auch Lebensmittel und Hilfsgüter können die Menschen nicht mehr erreichen, die in den von Kampfgruppen kontrollierten Ostteilen von Aleppo ausharren. Der Journalist Zouhair al-Shimale lebt nach eigenen Angaben in Saif ad-Daula, einem dieser Viertel. Er befürchtet, »dass wir alle um Wasser und Brot kämpfen« werden. Das schrieb er an die Berliner Online-Redaktion der Wochenzeitung »Die Zeit«. »Die, die nicht mehr stark genug sind, darum zu kämpfen, werden einfach verhungern. Fakt ist: Wir sitzen fest. Wir haben keine Chance mehr, aus Ost-Aleppo herauszukommen.«

Damit das nicht geschieht, hat die syrische Armee mit Unterstützung Russlands die Öffnung von drei »humanitären Korridoren« in die von den Kampfgruppen besetzten Stadtteile Aleppos angekündigt, durch die Zivilisten herauskommen konnten. Auf von der Regierung kontrolliertem Gelände würden humanitäre Versorgungszentren eingerichtet, internationale Hilfsorganisationen der UNO und andere seien eingeladen, sich zu beteiligen. Ein vierter Korridor sei für Kämpfer vorgesehen, die ihre Waffen abgeben und die Stadt verlassen würden.

Der syrische Präsident Baschar al-Assad bekräftigte eine Amnestie, wenn die Kämpfer bereit seien, sich den »zuständigen Behörden zu stellen und ihre Waffen niederzulegen«. Das gleiche gelte für diejenigen, die Geiseln freiließen.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erklärte, die angekündigten humanitären Maßnahmen »müssen die Sicherheit und den Respekt aller Zivilisten gewährleisten, egal ob sie die Stadt verlassen wollen oder nicht«. Er begrüße »jede Initiative, die den Zivilisten« helfen könne, in sichere Gebiete zu gelangen, sagte Robert Mardini, zuständig im IKRK für den Nahen und Mittleren Osten. Humanitäre Korridore erforderten allerdings eine »gute und sorgfältige Planung und können nur in Übereinstimmung aller Parteien eingerichtet werden«.

Ähnlich äußerte sich Jan Egeland, der vom UN-Sondervermittler De Mistura und der Internationalen Unterstützungsgruppe Syrien (ISSG) mit humanitären Fragen in Syrien beauftragt ist. Egeland forderte eine wöchentliche 48-stündige Waffenruhe, um die humanitäre Versorgung in Aleppo zu gewährleisten.

Seitens der bewaffneten Gruppen und der Opposition in Aleppo wurde der Notstand ausgerufen. Humanitäre und Nichtregierungsorganisationen müssten »Druck auf das Assad-Regime ausüben, um die Belagerung zu beenden«, forderte Zakaria Aminu, stellvertretender Leiter der Komitees. Fast 400 000 Menschen seien in den »befreiten Gebieten von Aleppo eingeschlossen«, sagte Aminu.

Die in Istanbul ansässige »Nationale Koalition« verurteilte das Vorgehen der syrischen Armee und Russlands in Aleppo als »Kriegsverbrechen«. Die Bewohner Aleppos sollten »gewaltsam aus der Stadt vertrieben« werden, erklärte der Präsident der Gruppe, Anas Alabdah. Er rief alle bewaffneten Gruppen in Aleppo auf, ihre Differenzen beizulegen und »vereint den von den Russen angeführten Angriff auf die Stadt« zurückzuschlagen. Der Leiter der offiziellen oppositionellen Verhandlungsdelegation in Genf, Asaad al-Zoabi erklärte, solange »die humanitäre Lage in Syrien sich nicht verbessert« habe, werde es keine Gespräche in Genf geben.

US-Außenamtssprecher John Kirby sagte in Washington, der russisch-syrische Vorschlag, den Menschen in Aleppo zu helfen, »scheint eine Aufforderung zur Aufgabe der Oppositionsgruppen zu sein und zur Zwangsevakuierung von unschuldigen Zivilisten aus Aleppo«. Er beanstandete auch, dass die USA von Russland nicht vorab informiert worden sei.

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