Alt Rehse auf der Suche nach sich selbst

Lange gab es Unruhe im Ort - nun versprechen Investoren einen Neustart für das Areal der früheren NS-Ärzteschule

  • Ulrike Henning, Alt Rehse
  • Lesedauer: 4 Min.
Um das Gelände der einstigen »Führerschule« der NS-Ärzteschaft wurde lange gestritten. Nun könnte ein Neuanfang am Tollensesee in Mecklenburg-Vorpommern möglich werden. Doch wie wird der aussehen?

In Alt Rehse tut sich wieder etwas: Der Gutspark, der zwischen 1935 und 1943 die »Führerschule der deutschen Ärzteschaft« beherbergte, hat seit April neue Eigentümer. Zuletzt hatte das Alternativprojekt »Tollense-Lebenspark« in dem Dorf bei Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern für Unruhe gesorgt. Diese Nutzung endete mit der Verurteilung eines der Initiatoren, der unter anderem Bürgschaftsunterschriften gefälscht hatte.

Im Gutspark ist jetzt ein regional bekannter Landschaftsplaner aktiv, dessen Mitarbeiter mit Mähmaschinen diverser Größen zugange sind. Die Auftraggeber und neuen Eigentümer stammen aus Bayern. Gabriele Wahl-Multerer war als Unternehmerin bei Jenoptik aktiv und ist bundesweit als Investorin bekannt. Sie hatte sich bereits in der früheren »Lebenspark«-Gemeinschaft engagiert. Einem online-Bericht kann man entnehmen, dass sie von deren Geschäftsgebaren aber schließlich reichlich genervt war: »Ich habe definitiv keine Lust mehr, für andere die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Leute, die auf einen Guru warten, dem sie folgen dürfen, und sich weder mit Eigenverantwortung noch mit Eigeninitiative belasten wollen, meide ich.«

Der zweite Geschäftsführer der neu gegründeten Schlosspark Alt Rehse Entwicklungs GmbH, Jens Schneider-Mergener, ist Biochemiker. Er hatte zeitweilig eine Professur an der Berliner Charité und war auch unternehmerisch tätig. Beide besuchten gerade kürzlich das jährliche Dorffest und suchen offenbar den Kontakt sowohl mit den Einwohnern als auch mit der EBB, der Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse e.V. Dieser Verein bemüht sich seit 2001 darum, die Geschichte des NS-Musterdorfes und der Ärzteschule aufzuarbeiten.

Für eine von Wahl-Multerer schon zuvor gegründete »Park am See GmbH« gibt es laut Wirtschaftsministerium in Schwerin eine Förderzusage über 1,3 Millionen Euro aus der sogenannten Bund-Länder-Gemeinschaftsausgabe »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur«. Die Förderung ist verbunden mit der Auflage, nach Abschuss des Vorhabens mindestens 10,9 Dauerarbeitsplätze zu schaffen. Dann sollen auch 116 Übernachtungsplätze bereit stehen. Es gilt eine fünfjährige Zweckbindungsfrist, die sowohl die »Wirtschaftsgüter« als auch den Erhalt der Arbeitsplätze betrifft. Unter anderem sollen mit den Mitteln vier vorhandene Gästehäuser um- und ausgebaut werden.

Äußerungen der Investoren zufolge ist »Entschleunigung« ist das Motto. Der künftige Tourismus soll naturnah sein. Die Idee für einen Indoor-Pool in einem der NVA-Bunker läuft vermutlich unter dem Fördermerkmal »saisonverlängernde Maßnahmen«. Ortsvorsteher Fritz Krüger meint nach den Erfahrungen der letzten Jahre, dass er - und aus seiner Sicht auch viele Dorfbewohner - an das neue Projekt erst glauben, wenn es auch wirklich umgesetzt ist. Und: Für die Dorfbewohner und EBB ist entscheidend, ob der Zugang zum Park öffentlich bleibt. Einerseits, weil der jetzige Weg zur Dampferanlegestelle am Tollensesee zu Teilen durch das Gelände geht, andererseits, weil die historisch interessanten Gebäude und Anlagen weiterhin Besucher anziehen werden.

Für den Tourismus bereits stark gemacht hat sich der Verein »Lindendorf Alt Rehse«. Das Café am Dorfteich wurde gemeinsam renoviert. Nutzer von mehreren hier entlang führenden Fernradwegen wissen das zu schätzen. Ein Naturlehrpfad zum Ortsteil Wustrow ist seit kurzem wieder begehbar, Brücken und Stege wurden saniert.

Die größte Sorge zur Zeit: Wie kann das Dorf besser an den Nahverkehr angeschlossen werden? Außerhalb der Ferien fahren Schulbusse mehrmals am Tag. Zudem verkehren sogenannte Rufbusse, die aber am Vortag bis 16 Uhr angemeldet sein müssen. Entsprechend verändert sich die Einwohnerschaft, wie Krüger berichtet. »Die Ältesten ziehen langsam weg, nach Neubrandenburg, sie wollen Geschäfte und Ärzte in Laufweite haben«, sagt Ortsvorsteher Krüger. Ins Dorf kommen schon seit Mitte der 1990er Jahre eher gut betuchte Menschen aus Neubrandenburg. Sie bauten und bauen am Ortsrand ihre Einfamilienhäuser. Heute leben etwa 290 Einwohner in Alt Rehse.

Krüger deutet an, dass das Dorf lange Zeit zerstritten war, das ständige Gegeneinander aber langsam überwunden werde. Den gemeinschaftlichen Neubeginn habe der Verein »Lindendorf Alt Rehse« bewirkt. Krüger freut sich, dass hier alle dabei sind - vom Gutverdiener bis zum Hartz IV-Bezieher, auch einige der ehemaligen »Lebenspark«-Bewohner machen mit.

Das Verhältnis zur EBB ist allerdings nicht gerade innig, es gab erst wenige gemeinsame Veranstaltungen. Von beiden Seiten wird beteuert, dass man sich nicht in alles hineinreden lassen wolle. Politik, erklärt der pensionierte Journalist Krüger, finde im Lindendorf-Verein direkt nicht statt. Erst nach den Sitzungen, bei einem Bier, kochen die Diskussionen mal hoch. Dies übrigens häufig entlang alter Ost-West-Differenzen, etwa bei der Einschätzung der US-Politik.

Was werden die Wahlen am 4. September in Alt Rehse bringen? Ortsvorsteher Krüger, der früher für die LINKE im Stadtparlament von Penzlin saß, ahnt, dass sich einzelne Dorfbewohner der AfD zugewandt haben - öffentlich machten sie das aber nicht. In den Vorjahren gab es im früheren Standort der NS-Ärzteschule Alt Rehse zweistellige NPD-Wahlergebnisse.

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