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Kuschelpropaganda

Sebastian Bähr über die vermeintliche Rettung des Journalismus durch eine fröhliche Nachrichtenauswahl

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

In Zeiten, in denen fast täglich Flüchtlinge im Mittelmeer verrecken, ist es wichtig, immer mal wieder ein Katzenvideo zu schauen. Die derzeitige - auch medial vermittelte - Instabilität und Krisenhaftigkeit der Welt kann für Nachrichtenleser erschöpfend sein. Erbauendes, Leichtes oder auch Stumpfes hilft, das Elend zu ertragen. Erschöpft sind jedoch auch Journalisten. Finanzierungs- und Vertrauensprobleme in Kombination mit der Schnelllebigkeit der Online-Berichterstattung fordern ihren Tribut. Das tägliche Auflegen eines Live-Tickers, wenn irgendwo in Europa ein Sack Munition umfällt, kann nicht die Krönung des medialen Arbeitens sein.

Die Gründer von »Perspective Daily« haben daraus ihre eigenen Schlüsse gezogen und das erste deutsche Webmagazin gegründet, das den Prinzipien des »konstruktiven Journalismus« folgt. Die Prämisse besagt, dass eine vermeintliche Fokussierung der Medienbranche auf negative Schlagzeilen zu Apathie und Ohnmacht führt. Die konstruktiven Journalisten plädieren dagegen für eine bewusst positive Nachrichtenauswahl. Das Ziel sei, bei jedem Konflikt auch Lösungswege aufzuzeigen und Rezipienten zum Handeln zu motivieren. Bisherige Berichterstattung würde ein verzerrtes Weltbild darstellen: »Uns als Gesellschaft ging es noch nie besser«, erklärte die Mitgründerin Maren Urner der »Zeit«.

In der Theorie sollen die Standards des journalistischen Arbeitens nicht aufgeweicht werden. Kritisches Hinterfragen habe weiterhin seinen Platz. Für die Beiträge wird aber mit einer klaren »Haltung« geworben. Verschiedene Medien wie der »Spiegel« oder die »Zeit« haben bereits eigene kleine Versuche gestartet.

Das aus dem skandinavischem Raum stammende Konzept zur Erneuerung des Journalismus mag vernünftig klingen. Von anti-aufklärerischen Tendenzen ist es jedoch nicht frei. Der Fokus auf vermeintliche »Lösungen« birgt die Gefahr, die oft komplexen und vielschichtigen Ursachen von Konflikten zu verkürzen. Theoretische Modelle beispielsweise zur Lösung des Nahostkonflikts oder zur Bekämpfung des Islamischen Staates mögen vielleicht in wissenschaftlichen Studien oder Planspielen funktionieren, scheitern aber schnell an den politischen Machtverhältnissen vor Ort.

Zur Lösung der Klimakrise mögen die Autoren dann vielleicht innovative Berliner Start-ups vorstellen, die effektive CO2-Filter produzieren. Von systembedingten Ursachen wie ökonomischen Nachteilen im globalen Wettbewerb durch Einhaltung von Klimaschutzabkommen wird vermutlich eher Abstand genommen. Der Fokus auf Lösungen entspricht einem neoliberalen Zeitgeist, der zur Behebung des selbst verursachten Elends technokratische Heilmittel anbietet. Diese verändern nichts an den grundlegenden Ursachen, aber die Leute fühlen sich zumindest besser.

Zeitgleich gibt es eine immer professionellere PR. Profiteure des Elends verfügen mittlerweile über ein großes Geschick, sich als ökologisch nachhaltig, sozial engagiert und antirassistisch zu präsentieren. Wenn der konstruktive Journalismus nicht aufpasst, wird er zu einem Fürsprecher dieser grünen und pinken Milieus des Kapitalismus. Möglicherweise sind Autoren auch selbst mit Unternehmen oder Organisationen verbandelt, deren Lösungen sie präsentieren. Das ist dann direkter Kampagnen-Journalismus. Für Haltung, Bewertungen und Zukunftsutopien gibt es im »herkömmlichen« Journalismus bereits verschiedene Formate.

Gesellschaftlicher Wandel entsteht nicht am Reißbrett, sondern in Auseinandersetzungen, durch Aufklärung und Widerstand. Er ist zäh und müßig und braucht oft Jahrzehnte, bis er Erfolg hat. Journalisten können dabei helfen. Sie können Missstände sichtbar machen, politisch Handelnden Raum geben und Lösungsansätze bewerten. Dadurch nehmen sie ihre Rolle als Vierte Gewalt wahr.

Die wachsende Beliebtheit des konstruktiven Journalismus muss man dennoch ernst nehmen. Sie sollte verstanden werden als Kritik an schlechtem Journalismus. An einer Berichterstattung, die dramatisiert, inszeniert, schlecht recherchiert und intransparent arbeitet. Auch diese steht der Aufklärung im Weg.

Die permanenten Erfolgsgeschichten der konstruktiven Autoren sind letztlich aber die wahre Verzerrung. In ihrer Extremform sind es Durchhalteparolen, die mediale Fröhlichkeitsblasen schaffen. Es wird dabei von unmündigen Menschen ausgegangen, die nicht in der Lage sind, die Probleme der Welt zu verkraften. Der Weg von der Kuschelpropaganda zur echten Propaganda ist nicht weit.

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