Israelische Kriegsverbrechen: Das Schweigen im Walde

Christoph Ruf verurteilt, dass der Westens israelische Kriegsverbrechen in Gaza ignoriert

Israelischer Luftangriff auf Gaza-Stadt
Israelischer Luftangriff auf Gaza-Stadt

Am Wochenende sah ich dieses Foto: Tusk, Merz, Starmer und Macron in Kiew bei Selenskyi, in der Mitte des Tisches ein Handy, das die fünf mit Donald Trump verbindet. Sie werden doch nicht ... ? Nein, natürlich ging es nicht um Benjamin Netanjahu, der am vergangenen Montag angekündigt hatte, Israel wolle Gaza besetzen. Komplett und unbefristet. Eine monströse Ankündigung, der vonseiten des Westens aber erneut keine wahrnehmbare Reaktion folgte.

Israels Ankündigung, die Uno künftig ignorieren zu wollen? Die weitgehende Weigerung, Hilfsgüter zu den Hungernden durchzulassen? All das wird vom Westen in etwa so behandelt, als hätte Netanjahu eine Umbesetzung in einem unwichtigen Ministerium verkündet. Derselbe Westen, der anderen Ländern Schulnoten in Sachen Pressefreiheit gibt, reagiert nicht ernsthaft darauf, dass in Gaza seit dem 8. Oktober 2023 rund 200 Journalistinnen und zahlreiche Mitarbeiter humanitärer Organisationen, nennen wir die Dinge ruhig beim Namen: ermordet wurden. Es bleibt dabei: Israels Regierung kann tun und lassen, was sie will. Und die Mächtigen im Westen schweigen.

Lesen Sie auch: Präsident ohne Eigenschaften – Israels Staatschef Izchak Herzog kommt nach Berlin

Hierzulande geht das so weit, dass selbst die Opposition nicht auf die Idee kommt, eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Die Linke, immerhin, beschloss auf ihrem Chemnitzer Parteitag einen Dringlichkeitsantrag. Überschrift: »Vertreibung und Hungersnot in Gaza stoppen – Völkerrecht verwirklichen!« Aber sonst? Schweigen im deutschen Walde.

Ein paar Tage zuvor hatte ich eine Kolumne von Harald Martenstein in der »Zeit« gelesen. Darin warf er der Mehrzahl der deutschen Medien vor, dass sie im Nahost-Konflikt »entkontextualisierten«, indem sie den 7. Oktober 2023 nicht erwähnten. So ist das mit der selektiven Wahrnehmung: Ich behaupte, dass ich von etwa 300 Artikeln zum Thema 294 mit exakt diesem Hinweis gelesen habe. Glücklicherweise, denn dass man Ursache und Wirkung nicht verwechseln darf, ist vollkommen richtig. Wenngleich mich in manchen Texten schon die Eiseskälte wundert, mit der über den Tod Tausender unschuldiger Menschen hinweggegangen wird, wie mich auf der anderen Seite wundert, wie man die vollkommen entmenschlichte Hamas relativieren kann.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Ja, es stimmt: Die Hamas könnte den Krieg sofort beenden, wenn sie die Geiseln freiließe. Dass es auf israelischer Seite schon einige Stimmen gibt, denen offenbar auch das nicht reicht, werte ich jetzt mal als unmaßgebliche Minderheitenmeinung. Und dass Netanjahu in einer Antwort auf Emmanuel Macron, den einzigen nicht völlig apathischen Regierungschef im Westen, von einem Palästinenserstaat als einem »im Herzen unseres Landes« spricht, ignoriere ich, als wäre ich ein westlicher Regierungschef.

Was ich richtiger finde, ist die Parallele zum Zweiten Weltkrieg, in dessen Endphase auch die Alliierten Kriegsverbrechen begingen und jeder Mensch, der noch halbwegs bei Verstand ist, dennoch Thomas Mann beipflichten musste: »Aber ich denke an Coventry und habe nichts einzuwenden. Gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muss.« Aber genau wie Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden dürfen, muss eine Reaktion angemessen sein. Zumindest noch einigermaßen angemessen. Das ist die israelische Kriegsführung schon lange nicht mehr.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.