Polens verkannte Lehrer

Chronisch unterbezahlte und überalterte Pädagogen treffen auf junge Schüler mit Smartphones und Tablets

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.
Das reformbedürftige polnische Hochschulwesen bereitet angehende Lehrer nicht auf eine moderne Schülergeneration vor, die wiederum fühlt sich ziemlich missverstanden.

Die Berufswirklichkeit des Schullehrers in Polen ist heute alles andere als beneidenswert. Seit Jahrzehnten rangiert er unter den Top 10 der verkannten Berufe und dies keineswegs nur, weil er ohnehin seit jeher chronisch unterbezahlt ist. Die polnische Pädagogenzunft wartet immer noch auf einen Generationenwechsel, was Auswirkungen auf die Kommunikation im Klassenraum hat.

Der nicht zwangsläufig medienaffine, alternde Lehrer stößt gegenwärtig auf junge Schüler, die ihn via Smartphone und per WhatsApp ungeniert verspotten. Der Lehrer-Schüler-Dialog gestaltet sich in Polen schwieriger als je zuvor. In einer von der OECD in allen 35 Mitgliedstaaten durchgeführten Studie gehört das ostmitteleuropäische Land zu den Sorgenkindern.

In einer weiteren Meinungsumfrage in Bydgoszcz sollten junge Polen zwischen 13 und 19 Jahren eine Autoritätsperson aus dem privaten Umfeld oder dem öffentlichen Leben benennen. 53 Prozent entschieden sich für die eigenen Eltern, 14 für Johannes Paul II. und acht für einen populären Fernsehmoderator. Jeweils vier Prozent entfielen auf den Dalai Lama sowie den eigenen Klassenlehrer. Bemerkenswerte 17 Prozent gaben zu, niemals eine Autoritätsperson für sich auserkoren zu haben.

Dabei geht es mitnichten nur um den vordergründig weltfremden »Pauker«. Auch jüngere Pädagogen können offenbar kaum mit der Armee von flinken »YouTubern« Schritt halten. »Personen, die älter als 35 sind, und diejenigen, die das 25. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, leben in zwei völlig verschiedenen Welten. Das reformbedürftige Hochschulwesen bereitet die angehenden Lehrer nicht auf eine Schülergeneration vor, die in einem virtuellen Kosmos schwebt und keinerlei Autoritäten zulässt«, erklärt Tomasz Szlendak, Soziologe an der Kopernikus-Universität in Toruń.

Das Problem ist selbstredend nicht nur ein polnisches. In den USA z. B. verwies der Publizist Marc Prensky schon vor 15 Jahren auf unterschiedliche Hirnwindungen bei Schülern, die unter dem Einfluss neuer Technologien entstehen. In seinem Aufsehen erregenden Buch »Digital Natives, Digital Immigrants« beschreibt er die daraus resultierenden Schwierigkeiten für Lehrer an amerikanischen Schulen. Auch Deutschland, Großbritannien und das ansonsten im Bereich der Lehrerausbildung vorbildliche Schweden plagen sich mit ähnlichen Problemen.

Doch nur in Polen behaupten beachtliche 38 Prozent der Schüler, sie fühlten sich von ihren Pädagogen »missverstanden«. Damit landet das Land in der OECD-Studie auf dem unrühmlichen letzten Platz. Tatsächlich geben zahlreiche polnische Lehrer zu, sie seien wegen der Respektlosigkeit ihrer Zöglinge höchst unmotiviert.

Manche von ihnen sehen ihre Position auch durch die Einführung neuer Technologien in den Schulen gefährdet. »Die Möglichkeiten der Wertevermittlung und Kontrolle, wie wir sie früher an den Schulen praktiziert haben, sind dadurch stark eingeengt«, klagt Karolina P., Lehrerin an einem Gdansker Gymnasium. Für die Schüler bleibe das Internet eine außerschulische Welt, »zu der die ›altmodischen Pauker‹ keinen Zugang haben«, meint der Soziologe Szlendak.

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