Trügerisch historisch

Drei medaillenlose Tage sind für deutsche Sportler zwar ungewöhnlich, ein Debakel sieht aber anders aus

Drei Tage ohne Medaille. Das gab es lange nicht für deutsche Athleten bei Olympischen Spielen. Dabei sind sie gar nicht so schlecht, nur ihre Gegner sind eben besser.

Die Schlagzeile sitzt: »Historisch schlechter Start - Deutschland stellt Rekord auf«. So zu lesen auf einer der führenden Sportseiten im Internet, die bekannt dafür ist, mit fast allen Mitteln Klicks der Leser zu fischen. Historisch wirkt da immer reizvoll, was aber längst nicht heißen muss, dass deutsche Olympiastarter noch nie an den drei ersten Tagen der Spiele medaillenlos geblieben waren wie in Rio. Diesmal heißt historisch: »seit der Wiedervereinigung«.

Immerhin ist das Geschrei noch nicht so groß wie bei den vergangenen Ausgaben der Sommerspiele, bei denen es immer wieder solche Durststrecken am Anfang gab. Die ersten Wettkampftage scheinen den Deutschen nicht zu liegen. Es wird einfach noch zu selten um Medaillen gerudert, gepaddelt oder geworfen. Dass die bis zum Dienstagmorgen dürftige Bilanz kaum für große Aufreger sorgte, liegt aber auch daran, dass die Leistungen der hiesigen Athleten gar nicht so schlecht waren, wie es der Blick auf den Medaillenspiegel vermuten lässt.

Ein paar Beispiele: Wenn sich der beste Mehrkämpfer im Turnen das Kreuzband reißt, wird es schwer mit einer Mannschaftsmedaille. Und wenn der beste Reckartist beim von ihm selbst erfundenen schwersten Element überhaupt von der Stange stürzt, hilft das eben auch nicht. Dann kommt eben Platz sieben heraus, der immer noch bedeutet, dass es ziemlich viele schwächere Länder auf der Welt gegeben haben muss.

Im Synchronspringen vom 10-Meter-Turm der Wasserspringer waren sogar nur drei Paare besser als Patrick Hausding und Sascha Klein. Die britischen Bronzemedaillengewinner gerade mal um mickrige sechs Punkte. Ja das lässt Enttäuschung zurück, aber nicht wegen einer schwachen Leistung, sondern wegen ein bisschen zu wenig Glück.

Noch knapper ging es gleich am ersten Tag im Schießen los, als Barbara Engleder vor ihrem letzten keinesfalls schlechten Schuss noch auf Medaillenkurs lag, diese dann aber um einen Millimeter verpasste. Ein Millimeter aus 10 000 Millimeter Entfernung! »Dass es nur der Vierte ist, ärgert mich, aber: Ist die Runde noch so klein, einer muss das Arschloch sein«, nahm es Engleder mit sympathisch deftigem Humor.

Andere Athleten zeigten auch schon starke Leistungen, doch ihre Medaillenentscheidungen stehen erst noch an. So stehen bereits drei deutsche Boote in den Ruderfinalläufen. Die Hockeyspieler gewannen ihre ersten beiden Vorrundenspiele, der Tischtennisprofi Dimitri Owtscharow steht im Viertelfinale, Turner Fabian Hambüchen gelang in der Qualifikation die beste Reckübung aller Starter. Die Liste kann beliebig verlängert werden.

Und dann sind da natürlich noch diese vermaledeiten Gegner. Ohne sie macht Sport irgendwie keinen Spaß, mit ihnen aber auch nicht, wenn ständig zu viele von ihnen besser sind. Bis zum Montag hatte noch kein deutscher Judoka auch nur ein Viertelfinale erreicht. Das klang zunächst nach einem Debakel, doch nach dem frühen Ausscheiden wandert der Blick oft zu schnell zur nächsten Medaillenchance. Nur wer sich die Mühe macht, später noch einmal die Ergebnisse zu durchstöbern, entdeckt, dass die Deutschen gleich zweimal an späteren Olympiasiegern gescheitert waren und einmal an einer Silbermedaillengewinnerin. Wer das Glas gern halb voll hat, könnte also meinen: Wer in Rio eine Medaille will, muss erst mal an den Deutschen vorbei.

Im Gewichtheben steigerte Sabine Kusterer ihre persönliche Bestmarke gleich um acht auf 200 Kilogramm im Zweikampf. Doch das reichte »nur« zu Platz zehn. Auch die seit Jahren kritisierten Schwimmer schwimmen nicht reihenweise hinter ihren Zielen hinterher. Vielmehr stellten einige schon deutsche Rekorde auf und verpassten doch die wenigen Finalplätze. Sie schwammen also schneller als all jene Landsleute vor ihnen, an deren Medaillenausbeuten sie nun gemessen werden.

Auch aus diesem Grund gibt Bundestrainer Henning Lambertz immer wieder gern das Ziel aus, dass neue persönliche Bestzeiten erreicht werden sollen. Doch auch das schaffen nur die wenigsten bei Olympia. Die vielen Weltrekorde von wenigen Athleten täuschen darüber nur hinweg. Das Problem mit dem perfekten Formaufbau hin zum Höhepunkt ist also kein spezifisch deutsches. Und wenn einer wie Paul Biedermann auf Platz sechs seine eigene Bestmarke gleich um mehr als dreieinhalb Sekunden verpasst, sei doch noch erwähnt, dass diese Zeit immer noch den Weltrekord darstellt, den ein sechs Jahre jüngerer Biedermann im längst verbotenen High-Tech-Anzug geschwommen war.

Fürs große Trübsalblasen ist es also noch ein wenig zu früh, das beliebte Medaillenzählen hat noch Zeit. Wenn das Ziel am Ende der Spiele aber immer noch unerreicht ist, kann man ja noch acht weitere Jahre warten, bis die letzten Dopingnachtests ihre Ergebnisse zeigen.

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