Spukgestalten im grellen Licht

Lisa Danulats Stück «Ralf» als Teil einer Uraufführungsserie in Dresden

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie bewahren wir in extremen Situationen unsere Menschlichkeit?« Diese Frage steht im Zentrum des Jahresspielplans des Staatsschauspiels Dresden. Mit drei Uraufführungen widmet sich das Schauspielensemble diesem prägenden Gedanken und bringt dabei Europa und die Dritte Welt, die jüngere Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft auf die Bühne. In der Inszenierung der Theaterfassung von Ilja Trojanows Roman »Der Weltensammler« versucht der Held Richard Francis Bacon eine Brücke zu schlagen zwischen dem europäischen Kontinent und fremden Religionen und Literaturen, macht sich als Arzt auf Pilgerfahrt, lernt über 20 Sprachen und übersetzt Bücher aus den von ihm bereisten Ländern. In der Uraufführung einer Theaterfassung des Romans »89/90« von Peter Richter gelangen Vergangenheit und Gegenwart der Elbestadt ins Visier: Dresdener Jugendliche erleben die Wende; Erwachsenwerden und gesellschaftlicher Umbruch fallen zusammen. Die Protagonisten, die vorher gemeinsam auf den Staat geschimpft haben, stehen sich als verfeindete Linke und Rechte gegenüber und schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein.

All diese Figuren sind mit unterschiedlichem Erfolg auf der Suche nach Heimat und Lebenssinn.

Die gegenwärtige europäische Flüchtlingskrise kommt in der von Sapir Heller inszenierten Uraufführung von Lisa Danulats Stück »Ralf« zur Sprache. Aufhänger ist eine US-amerikanische Fernsehserie mit dem zotteligen Helden Alf, die in den 80er Jahren in deutsche Wohnzimmer flimmerte. Die hatte gezeigt, wie ein Flüchtling vom zerstörten Planeten Melmac mit einem Raumschiff auf einer irdischen Garage landet, und das Zusammenleben einer amerikanischen Durchschnittsfamilie durcheinanderwirbelt.

Im Stück von Lisa Danulat tritt an die Stelle des aus dem Kosmos gelandeten Alf der Flüchtling Ralf. Dieser Ralf erscheint bei der Familie Danner und will bleiben. Er trifft auf eine zerrüttete Familie und aus der Bahn geworfene Familienmitglieder. Alle schwanken sie zwischen lähmender Resignation und wirrem Aktionismus. »Wir wissen nicht, ob wir tun oder lassen« sollen, sagt Tochter Lynn. Sie selbst ist gepeinigt von Ängsten: vor Beziehungen, vor Einsamkeit, vor Abgewiesensein und Arbeitslosigkeit. Sie plappert Schlagworte aus dem iPad nach und verliert sich in irrlichternden Phantasien. Vater Willie, ein erfolgloser Schriftsteller, hat seine literarischen Auftraggeber und damit Lebenssinn und Selbstachtung verloren. Er will Entschädigung für das vom Staat zugefügte Unrecht und weigert sich, sich mit wohlfeilen Texte anzubiedern. Sohn Brian hängt sich mit zunehmender Vergeblichkeit an wechselnde, offensichtlich schwule Freunde und verliebt sich auf irrationale Weise in deren Eigenheiten wie Gesten, Gerüche, Gesichtszüge und Haare. Mutter Kate ist ihres räsonierenden Ehemannes überdrüssig und verlangt von ihm, endlich wieder Text zu produzieren.

Der Fremdling Ralf muss erkennen, dass er hier nicht gewollt wird und dass er bestenfalls mit einer »Währung« bezahlen kann, die hier nicht gilt. Kate, die Familienmutter, hat Angst vor Ansteckung und befiehlt dem Eindringling, sich vor den Nachbarn zu verstecken. Ralf wird zum Auslöser von neuem Streit. Willie will mit dem Geld, dass der Flüchtling bei wechselnden Nebentätigkeiten verdient, die Miete bezahlen und Kate will ihn den Behörden melden. Am Ende verwandelt sich Ralf wieder in den Alf der Serie. Die auf der Straße stehenden schwarzen SUVs, die einst zur Bewachung Ralfs aufgefahren waren, werden ihn zurück zu den Sternen geleiten.

Von der Atmosphäre her widerspricht der giftige Umgangston in der Familie den Verheißungen der Fernsehserie, wonach jeder Mensch die Chance zum besseren Leben hat. Dieser feindliche Umgang wird in Sapir Hellers Inszenierung nicht mit psychologischer Feinzeichnung sondern mit artistisch-clownesken Mitteln kenntlich gemacht. Schon der Beginn deutet die beabsichtigte Richtung an: Die einzelnen Familienmitglieder, beschäftigt mit allerlei seltsamen Betätigungen, schauen eine Folge der Fernsehserie »Alf«. Nach einer Havarie im Netz wird mit lautem Knall eine seltsam kostümierte Gestalt auf die Bühne geschleudert, nennt sich Ralf und bittet um Bleiberecht. Am Ende flimmert wieder die Kiste und auf dem Bildschirm agiert Alf mit seiner überdimensional großen Schnauze und kehrt in den Orbit zurück.

Im zwischenmenschlichen Verkehr der Gastgeberfamilie Tanner herrscht die Spielweise der US-amerikanischen Serien: schrille Überzeichnung und eingespieltes Lachen des Publikums. Spukgestalten entäußern sich im grellen Licht. Wir erleben sie als aufdringliche Selbstdarsteller. Tochter Lynn (Lucie Emons) erscheint im jähen Wechsel als ganzverschleierte Muslima, als Betschwester, als Rockstar oder als Rokokodame mit Reifrock und Perücke und verkündet mal flüsternd, mal singend ihre kaum nachvollziehbaren Ängste und Verstiegenheiten. Ihr Gutmenschentum behauptet sie mit dem Singen eines deutschen Weihnachtsliedes und ihre herausragenden musikalischen Fähigkeiten in Form einer Rocknummer.

Was fehlt, ist stilistische Geschlossenheit. Neben die aufwendigen Verkleidungen der Tochter Lynn treten die illustrierenden Schwulentöne des Sohnes Brian (Thomas Schumacher). Immer wieder auch allzu ertüftelte aufwendige Regieeinfälle. Irgendwann spielen sich die verfremdenden Mittel leer.

Die eingangs erwähnte Grundfrage des Jahresspielplans nach der menschlichen Bewährung in Extremsituationen gerät aus dem Blickfeld. Kernstück des Theaters bleiben eben doch das Erzählen von Geschichten und die dramatische Figur mit ihren Hoffnungen und Abgründen.

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